Warum eine junge Frau Bergbau studiert

Sophia Will studiert ein Fach, von dem viele meinen, dass es keine Zukunft hat: Bergbau. Mittlerweile ist die 21-Jährige im siebten Semester an der TU Bergakademie Freiberg und engagiert sich in der AG Grubenwehr, in der die Studierenden das Finden vermisster Personen, die Brandbekämpfung unter Tage oder auch die Versorgung verletzter Personen trainieren. Im Interview erklärt die gebürtige Lausitzerin, warum sie sich richtig gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnet und wie es sich als Frau anfühlt, in der Männerdomäne Bergbau zu arbeiten.

„Keine Frau, welchen Alters auch immer, soll unter Tage in einem Bergwerk arbeiten.“ So wurde es 1935 in einem Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) festgeschrieben und ins deutsche Bundesberggesetz übernommen. Dieses Berufsverbot für Frauen wurde erst 2009 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aufgehoben. Das Gericht hatte einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz beim Zugang zur Beschäftigung festgestellt. Aber auch vor dem Berufsverbot war es äußerst selten gewesen, dass Frauen unter Tage arbeiteten. Denn unter Bergmännern grassiert seit Jahrhunderten ein Aberglaube: „Frauen unter Tage bringen Unglück.“

Was fasziniert dich am Untertagebergbau?
Vor allem die Gebirgsmechanik und die Logistik. Die ist unter Tage natürlich um ein vielfaches komplizierter als über Tage, da alles über einen verhältnismäßig kleinen Schacht nach unten befördert werden muss. Das erfordert viel Planungsaufwand. Dazu ist das Wetter immer gleich. Ich wusste heute bei der Einfahrt in die Reiche Zeche: Es wird kalt und nass werden. Im Salz dagegen weißt du immer: Es ist warm und trocken.

Wolltest du schon immer im Bergbau arbeiten?
Nein, das hat sich mit der Zeit entwickelt. Ich habe in der 9. Klasse bei einem Armeekollegen meines Vaters ein Praktikum gemacht,  Mauerwerksanierung in einem Geotechnikbüro. Das fand ich damals wahnsinnig spannend: ein bisschen was mit Mathe, aber man muss auch kreativ sein. Seitdem stand für mich fest: Du gehst nach dem Abitur nach Freiberg und studierst Geotechnik & Bergbau

Aber wie bist du dann von der Mauer zur Grube gekommen…?
Als ich mit dem Studium anfing, war mir noch nicht ganz klar, in welche Richtung ich mich spezialisieren wollte. Viele meiner Kommilitonen wussten aber schon von Anfang an, dass sie auf Bergbau vertiefen wollten. Mit denen habe ich viel unternommen, bin in die AG Grubenwehr gekommen und habe schließlich gemerkt: Geotechnik ist überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte – viel zu viel Rechnen und Programmieren. Ich wollte lieber raus, mir was angucken, mir auch mal die Hände dreckig machen…

Es gibt heute Gasmesswarngeräte unter Tage, wir rennen nicht mehr mit Vögeln rum. Außerdem: PETA würde sofort vor der Tür stehen.

Hat Bergbau Tradition in deiner Familie?
Überhaupt nicht. Klar, als Kind war ich öfter zu Besuch in Freiberg und auch mal auf der Reichen Zeche. Und mein Zuhause, Hoyerswerda in der Lausitz, ist zwar Braunkohlengebiet, aber ich habe nie viel damit zu tun gehabt. Meine Mutter ist Lehrerin, mein Vater Arzt und meine Großeltern waren beide Elektriker. Meine Urgroßeltern haben zwar in der Braunkohle gearbeitet, die habe ich aber nicht mehr direkt kennengelernt…

Wie ist dein Berufswunsch denn Zuhause aufgenommen worden?
Das gängige Vorurteil bei allen Familienfeiern ist natürlich: „Bergbau? Das gibt’s doch gar nicht mehr!“ Aber meine Eltern haben schnell verstanden, dass das Ende des Kohleabbaus nicht das Ende des Bergbaus insgesamt bedeutet. 

Was lernt man konkret im Studium?
Unser Professor in Tiefbau sagt immer: „Bergleute sind wie Enten. Wir können alles ein bisschen, aber nichts richtig.“ (lacht) Es ist wirklich so! Wir haben von allem ein bisschen Ahnung: ein bisschen Elektrotechnik, ein bisschen Strömungsmechanik, ein bisschen Maschinenbau… und natürlich von den bergbauspezifischen Fächern wie Tagebautechnik, Tiefbau, Gewinnungsgrundlagen oder Bewetterung. Das ist aber auch gut, um den Überblick zu haben und letztlich die Arbeit im Bergwerk koordinieren zu können.

Sophia Will: Studentin Bergbau

Stichwort: Chancen auf dem Arbeitsmarkt…
Als ich angefangen habe, war ich mir nicht bewusst, dass Bergbau so gefragt ist. Im Studium kriegt man das aber sehr stark mit: Wenn wir auf Exkursionen bei Firmen sind, merkt man schon, dass die einen Fachkräftemangel in den nächsten Jahren haben werden. Die würden uns am liebsten gleich da behalten. Als Dipl. Ing. kann ich nach dem Studium deswegen in einem sehr breit gefächerten Gebiet arbeiten: Als erstes natürlich in den „richtigen“ Bergbaufirmen, also denen, die ein eigenes Bergwerk oder Tagebau betreiben. Dazu gehören K+S AG, Leag, Mibrag, L’Hoist oder RWE. Dann gibt es  Dienstleistungsunternehmen wie Redpath Deilmann oder Schachtbau Nordhausen mit besonderen Kompetenzen im Bereich Schachtbau. Ein weiteres großes Feld bildet die gesamte Zuliefererindustrie, also alles, was man in einem Bergbauunternehmen benötigt – angefangen bei Gewinnungsmaschinen (Caterpillar, Eickhoff,…) bis hin zu Sauerstoffselbstrettern, die zur persönlichen Schutzausrüstung in vielen untertägigen Betrieben gehören (MSA, Dräger,…). In diesen Bereichen ist man meist als Projektingenieur tätig oder im Bergwerk in der Planung. Vor allem im Bereich Altbergbau gibt es daneben noch die Möglichkeit, in einem Ingenieurbüro zu arbeiten. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Beamtenlaufbahn bei den Bergbehörden…

„Keine Frau, welchen Alters auch immer, soll unter Tage in einem Bergwerk arbeiten.“ Dieser Satz wurde erst 2009 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem deutschen Bundesberggesetz gestrichen. Wäre das, was du heute studierst, vorher gar nicht möglich gewesen?
Teils-teils, mein Studiengang schließt ja Tagebau und Untertagebau mit ein. Zu DDR-Zeiten haben schon viele Frauen in Richtung Tagebau studiert und gearbeitet. Das waren Ingenieurinnen; deren Job war es ja nicht, später Kohlen zu schleppen. Außerdem durftest du als Frau früher schon mal unter Tage fahren, aber nicht dauerhaft unter Tage arbeiten. Wie das gehandhabt wurde, war aber auch immer eine Sache des Betriebs.

Ich studiere das gleiche, mache das gleiche und mache mir genauso wie die Jungs die Hände dreckig.

Sind Frauen, die Bergbau studieren, heute noch eine Besonderheit?
Wir sind schon noch ein Jungs-Studiengang. Als ich im Oktober 2016 mit dem Studium Geotechnik und Bergbau begonnen habe, waren wir 36 Leute im Jahrgang – zwei davon Mädchen. Nach dem 4. Semester kann man sich für eine der vier Vertiefungsrichtungen entscheiden: Geotechnik, Bergbau, Spezialtiefbau, Tiefbohrtechnik. In meiner Vertiefung Bergbau sind wir momentan 4 Leute – zwei Mädchen und zwei Jungs. Dieses 50:50-Verhältnis ist aber außergewöhnlich.

Und der Umgang untereinander…?
Wenn irgendwo eine leichte Kiste steht und eine schwere, dann wird schon drauf geachtet, dass ich die leichte nehme. Grundsätzlich wird in der Uni aber kein großer Hehl darum gemacht. Die Jungs nehmen mich überall mit hin, machen ihre blöden Sprüche, kennen mich und wissen, dass ich das abkann. Ich bin da auch ein bisschen rein gewachsen. Vor dem Studium war ich um einiges schüchterner. Aber irgendwann musst du den Mund aufreißen und denen Paroli bieten.

Sophia Will: Studentin Bergbau

Sieht es außerhalb der Uni im Arbeitsleben genauso aus
Im Untertagebau ist es auch heute noch teilweise verbreitet, dass die ganz alten Bergleute sagen: „Frauen unter Tage bringen Unglück“. Aber es ist wirklich seltener geworden, und ich habe bis jetzt noch keine direkten Probleme damit gehabt. Es würde dir auch nie jemand ins Gesicht sagen. Aber man merkt halt manchmal, dass sie dir nicht so viel zutrauen. Ich habe aber auch genauso Leute kennengelernt, die gesagt haben: „Du kannst genauso anpacken wie alle anderen, also mach ruhig.

Wieso hält sich der Spruch „Frauen unter Tage bringen Unglück“, der seit Jahrhunderten unter Bergmännern umgeht, dann trotzdem noch so?
Der Spruch hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, dass Männer, wenn Frauen mit Ihnen unter Tage sind, gerne den Macker raus hängen lassen und angeben wollen. Die wollen dann zeigen: „Guck mal, ich hab was drauf, ich zeig das jetzt, und muss auch nicht mehr auf das hören, was der Chef sagt.“ Da kann ich mir schon vorstellen, dass in solchen Momenten auch mehr Unfälle unter Tage passieren…

Welche Eigenschaften sollte man – neben den fachlichen – als Bergfrau noch mitbringen?
Trinkfest sein (lacht). Bergmänner trinken ja wahnsinnig viel, da musste ich mich auch erst dran gewöhnen. Als Antialkoholiker – keine Chance. Auch als Vegetarier ist es relativ schwierig. Wenn du auf Kolloquien bist, gibt es Essen und Trinken in rauen Mengen: sehr viel Fleisch, kaum Gemüse und viel Alkohol. Aber warmes Grubenfeuer [ein Kräuterschnaps mit 60 Prozent, Anm. des Autors] hilft auch super, wenn du erkältet bist…

Findest du es nervig, dass das Frausein in deinem Beruf manchmal so herausgestellt wird?
Manchmal schon. Gut, wer mag es nicht, wenn man ein bisschen Aufmerksamkeit bekommt. Aber ich will eigentlich keine Sonderrolle haben und genauso behandelt werden wie die Jungs auch. Ich studiere das gleiche, mache das gleiche und mache mir genauso wie die Jungs die Hände dreckig.  Dass ich irgendwo rein kraftmäßig beschränkt bin – oder sollte ich mal Mutter werden – und deswegen nicht alles machen kann, ist logisch. Aber was geht, will ich auch machen und da nicht ausgebremst werden. 

Sophia Will: Studentin Bergbau

Das Interview ist am 30.11.2019 in der sozialistischen Tageszeitung neues deutschland erschienen.

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