Seltener als eine Steinlaus, scheuer als ein Einhorn: Heute kennen wir das Fiesel nur noch in verarbeiteter Form – als Kopfbedeckung von Tick, Trick und Track. Wie hat es ausgesehen? Warum musste es sterben? Eine Spurensuche.
Kein Wort in Grzimeks Tierleben, Alfred Brehm ließ es unerwähnt – und selbst Wikipedia weiß nicht weiter. Das gemeine Fiesel gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen unserer heimischen Fauna. Einzig sein braunes Fell und sein Schweif mit heller Spitze sind durch mehrere Quellen bezeugt. Wie das Fiesel ansonsten ausgesehen hat, ob Fleisch oder Pflanzen auf seinem Speiseplan standen, wie alt es wurde – unbekannt!
Ich sitze mit einer Freundin in einem Café in Hamburg. Ob das Fiesel überhaupt gelebt hat, fragt sie mich skeptisch. Ich bejahe im Brustton der Überzeugung. Vor meinem geistigen Auge führen Fuchs und Wiesel einen Balztanz auf. Nein, noch möchte ich das Fiesel nicht ins Reich der Mythen und Märchen, zu all den Einhörnern, Bigfoots und Wolpertingern verbannen. Wir öffnen ihren Laptop, rufen Google auf und beginnen mit der Spurensuche.
Das erste Suchergebnis verstört. „Fiesel {m} [Ochsenpenis]: pizzle [zool.]“ lesen wir dort in einem bekannten Internet-Wörterbuch. Wir graben tiefer. „Eva Fiesel geb. Lehmann war eine deutsche Sprachwissenschaftlerin und Etruskologin“, verrät uns Wikipedia. Außerdem gibt es in Dortmund eine Anwaltskanzlei Peer Fiesel und in Stuttgart eine Zahnärztin mit eben diesem Namen. Stöhn. Ächz. Seufz.
Auf Erikas Spuren
Gerade, als meine Freundin den Laptop wieder zuklappen will, werde ich doch noch fündig. Als letzter Mensch soll eine gewisse Frau Dr. Erika Fuchs, langjährige Übersetzerin des „Micky Maus“-Magazins, ein Fiesel in freier Wildbahn beobachtet haben. Leider ist die Dame bereits 2005 verstorben. Anruf zwecklos. Doch wer genau hinschaut, für den hat Frau Fuchs in ihren Texten gleich mehrere Hinweise auf das Schicksal der Tiere versteckt.
Sicher ist, dass die Fieselpopulation noch vor einem halben Jahrhundert prächtig in unseren Wäldern gedieh. Bis eine straff autokratisch geführte Organisation die Weltbühne betrat und die Tiere gnadenlos zu jagen begann. Aus dem Fieselfell wurden Kopfbedeckungen für die stetig wachsende Mitgliederschaft gefertigt.
Mir wird übel. Vielleicht liegt es am fünften Kaffee, vielleicht an der Vorstellung, wie tausende Tiere qualvoll in den Fängen dieses so genannten „Fähnlein Fieselschweifs“ gehäutet wurden. Drei Buben sollen sich bei der grausamen Aktion besonders hervorgetan haben. Bis heute stehen Tick, Trick und Track, so ihre Tarnnamen, ganz oben auf der schwarzen Liste der PETA. Beinahe täglich sollen die Jungs neue Fiesel erlegt haben, immer in der Hoffnung, durch ihre bedingungslose Hingabe an die Sache ganz nach oben in der Hierarchie zu klettern.
Kaum zu glauben, …
Ich wittere eine Verschwörung: Wie mächtig ist das Fähnlein, dass es fast alle Hinweise auf die Existenz des Fiesels aus dem Netz tilgen konnte? Das ist ja wie bei Stalin und den Römern. Eine Damnatio memoriae wie sie im Buche steht! Da stecken doch sicher die Illuminaten hinter!
Meine Freundin räuspert sich und schiebt dezent meinen siebten Kaffee zur Seite. Wer soll dir den Quatsch denn glauben, geschweige denn lesen? Okay, vielleicht ist die Fantasie etwas mit mir durchgegangen. Aber einfach nur zu schreiben, dass Erika Fuchs das Wort Fieselschweif erfunden hat, weil es gut klingt, ist doch stinkelangweilig, oder?
Getextet ursprünglich 2014 für meinen stern.de-Comic-Blog „Vom Leben gezeichnet“ (Archiv). 2020 etwas umgeschrieben.
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