Was wäre wenn… unsere Gesellschaft einen Superhelden hätte?
Anlässlich der Veröffentlichung des Comics „Superdoggo“, den Alice Socal (Zeichnerin) gemeinsam mit mir erdacht hat, und der eine Auftragsarbeit der Initiative „Die offene Gesellschaft“ war, hat mir Alexander Wragge von der OG im August 2019 ein paar Fragen zum Thema „Superhelden“ geschickt. Hier die Antworten:
Batman, Superman, Iron Man – man hätte denken können, die Idee des Superhelden hätte sich so langsam erschöpft. Aber es hört nicht auf. Aktuell hat der Superhelden-Blockbuster „Avengers: Endgame“ alle Umsatzrekorde gebrochen und ist nun der erfolgreichste Film aller Zeiten. Wie erklärst du dir diesen weltweiten Erfolg des Superhelden-Konzepts?
Ich glaube, die Idee einer Truppe von Helden, die für “das Gute” eintreten und dafür auch unabhängig von Nationalität und Politik kämpfen, ist gerade in unseren unsicheren Zeiten voller politischer Verwerfungen und Terrorangst äußerst charmant.
In den 90ern hatten wir mit Fukuyama gedacht, wir befänden uns am “Ende der Geschichte”, auf der Einbahnstraße zu einer geeinten Erde voller demokratischer Nationen. Heute stehen wir vor dem Trümmerhaufen dieser Ideen. Autokratische Herrscher sind allerorts auf dem Vormarsch – auch im Westen. Dazu müssen wir nicht einmal nach Amerika oder Italien oder Polen schauen. Vor unserer eigenen Haustür gewinnt eine rechtsradikale Partei immer mehr Macht, die sich die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie auf ihre blauen Fahnen geschrieben hat.
Gleichzeitig scheint es allerorts, als würde die Politik die großen Fragen unserer Zeit nicht mehr lösen können oder wollen. Superhelden stehen außerhalb des etablierten Systems und können einfache Lösungen anbieten, die auf der Leinwand funktionieren und unsere Sehnsüchte nach einer besseren Welt zumindest für jene Zeit befriedigen, die wir im Kino verbringen. Das kann gefährlich sein, wenn wir die Sehnsucht nach einem “starken Führer” / einer “starken Führerin” ins politische System übertragen. Es kann aber auch unglaublich inspirierend wirken: Nehmen wir “Black Panther”. Mit dem fiktiven Staat Wakanda wird ein utopisches Afrika gezeigt, das ein Vorbild sein kann: modern, fortschrittlich und trotzdem seine Traditionen nicht aufgebend.
Gemeinsam mit der Zeichnerin Alice Socal hast du ein Gedankenexperiment umgesetzt. Was wäre, wenn es in unserer Gesellschaft einen Superhelden geben würde? Herausgekommen ist das Superdoggo-Comic. Was hat dich an dieser Fragestellung gereizt?
Erst einmal wollten wir die Chance nutzen, das klassische Bild, das Menschen vom Superhelden haben, zu brechen. Deswegen ist unser Superdoggo weder männlich noch weiblich und auch kein muskelbepackter Sixpackmensch. Ganz konkret wollte ich die Versuchungen zeigen, in die eine Gesellschaft geraten würde, wenn es tatsächlich Superhelden wie Iron Man, Batman oder Superman gäbe. Wie sehr ließe man sich ganz sprichwörtlich fallen, sähe sich persönlich nicht mehr in der Verantwortung und würde darauf vertrauen, dass dieser eine Superheld schon alles richten wird. Gleichzeitig war mir klar, dass ein Superheld alleine, egal welche Kräfte er auch hat, niemals die Probleme der ganzen Welt schultern könnte und im Endeffekt daran zerbrechen würde. Dazu kommt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Selbst wenn unser Held alles gut meint, was er tut, versteht er vielleicht die Komplexität mancher Dinge nicht – und macht dadurch Fehler mit schlimmen Konsequenzen für die Menschen.
Gleich zu Beginn trifft euer Superheld, der Superdoggo, auf ein Problem. Andere nutzen seine Hilfsbereitschaft aus. Manche Leute machen sich einen Spaß daraus, sich von ihm retten zu lassen. Und der Präsident eurer fiktionalen Welt instrumentalisiert Superdoggo für seine Anti-Flüchtlings-Politik. Könnte die erste Erkenntnis lauten: Superkräfte sind ein Fluch für den Superhelden?
Chance und Fluch zugleich. “With great power comes great responsibility” heißt es ja die ikonische Zeile bei Spider-Man. Für die meisten Superhelden gehört es ja zur Origin-Story dazu, dass sie diese Lektion erst schmerzlich lernen müssen. Und dass sie der Verantwortung nicht entkommen können, die ihre Superkräfte mit sich bringt, dass sie eben nicht einfach so in Rente gehen können, weil sie wissen, dass sie oftmals die einzigen Menschen sind, die in bestimmten Notsituationen zur Hilfe eilen können.
Was den Fluch angeht: Bei den von Stan Lee und Jack Kirby erfundenen X-Men/Mutanten ist der Outsider-Charakter der Superhelden ja elementarer Teil ihrer Geschichte. Die Superkräfte stehen hier sinnbildlich für das wie auch immer geartete ‘Anderssein’ – sei es im Rahmen von Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Mehr noch als in anderen Superheldengeschichten stellen die Superkräfte der Mutanten eine Bürde da, eine Besonderheit, die es vor der normalen Bevölkerung zu verstecken gilt, die ihnen mit Misstrauen, Angst und Hass begegnet.
Superdoggo ergreift schließlich selbst die Macht. Er hat eigentlich nur Gutes im Sinn, zum Beispiel wenn er Tierschutz und eine gesunde Ernährung für alle befiehlt. Doch die derart gegängelte Bevölkerung jagt ihn vom Hof. Könnte die Moral lauten: Diktaturen funktionieren nicht, selbst wenn sie es gut mit uns meinen?
Die Idee des ‘guten Monarchen’, der weise und fair regiert, schnell nötige Veränderungen durchsetzen kann und quasi als Spiegelbild des bösen Diktatoren dient, hat natürlich ihren Reiz. Allerdings ist es eine Idealvorstellung, von der ich nicht glaube, dass sie in der Realität umsetzbar ist. Hat ein Mensch alleine wirklich alle Informationen zur Hand, um eine Situation richtig einzuschätzen, um allen gerecht zu werden? Ist er wirklich frei von Stimmungsschwankungen, von Frustrationen und persönlichen Eitelkeiten, um wirklich immer objektiv das Gemeinwohl im Blick zu halten? Und braucht eine Gesellschaft nicht auch einen gewissen Raum, um Fehler machen zu können? Einen Raum für Unvernunft?
Die Autokratie des Superhelden ruft bei euch vor allem das Schlechte im Menschen hervor. Die Leute verhalten sich verantwortungslos, egoistisch und opportunistisch. Umgekehrt lässt sich das als Plädoyer für die Demokratie lesen. Hier müssen die Menschen selbst Verantwortung übernehmen und entscheiden, was gut für sie selbst und die Gesellschaft ist. Ist euer Fazit: eine Demokratie braucht keine Superhelden?
Es beginnt ja nicht erst mit dem Moment, als Superdoggo die Macht übernimmt, sondern schon vorher, wenn die Menschen Hochhaus-Jumping betreiben, weil sie wissen, dass da jemand ist, der sie auffängt und versuchen, diese neue Grenze auszuloten. Ich glaube ja: Menschen werden immer ihre Grenzen austesten, je weiter sie auch gesteckt werden. Aber bevor wir nur negativ von Verantwortungslosigkeit sprechen: Verantwortung abzugeben, Loszulassen hat ja auch etwas schönes, befreiendes – gerade in einer Welt, die uns durch ihre Komplexität und technologischen Möglichkeiten immer mehr Verantwortung aufbürdet. Man darf nicht vergessen: Demokratie ist halt auch Arbeit und zwar eine ganz schön anstrengende. Nur, wenn wir sie aktiv mitgestalten, kann sie funktionieren. Aber je komplizierter unsere Welt geworden ist, desto komplizierter wird auch dieses Mitgestalten.
Was die Vereinbarkeit von Demokratie und Superheld angeht: Natürlich würde sich jeder Staat, auch ein demokratisch verfasster, über einen ihm ‘hörigen’ Superhelden als Supersoldat freuen. Aber so ein Superheld wäre ja letzten Endes nicht mit demokratischen Mitteln kontrollierbar. Er würde sich dem System nur so lange unterordnen, wie er es für richtig halten würde. Schon von seiner Anlage her ist der Superheld halt ein Element, das außerhalb des Systems steht – und stets in Gefahr läuft, in Richtung Faschismus zu kippen. Hier möchte ich besonders die Lektüre von Georg Seeßlens Essay “Die Verachtung der Massen – Wie „faschistisch“ sind eigentlich Superman, Batman & Co?” empfehlen:
Für Superdoggo scheint das Superheldentum eine große Überforderung zu sein. Er kehrt gewissermaßen in seinen Urzustand zurück, indem er in den Wald flieht und eine Fleischkeule futtert, obwohl er zuvor noch dem ganzen Land das Fleischessen verbieten wollte. Sollte man lieber auf allzu hohe, superheldische Ansprüche an sich selbst verzichten?
Auf jeden Fall! Ich würde sagen, die Hälfte meines Umfeldes leidet unter einer generellen Überforderung, ob wir das jetzt Burnout nennen wollen oder anders. Wir leben in einer Zeit, in der wir absurde Ansprüche an uns selbst und unser Verhalten stellen und verlernt haben, auch einmal Fehler zuzulassen oder Fünfe gerade sein zu lassen. Wir haben den Müßiggang verlernt. Es ist ja per se keine schlechte Sache, sich besser ernähren zu wollen, bewusster mit der Umwelt umzugehen, gute Arbeit zu leisten und lebenslang lernen zu wollen. Aber wir tun das mittlerweile oft mit einer Verbissenheit, die mir Angst macht und schnell ins Gegenteil umschlagen kann. Manchmal kommt es mir vor, als befände sich unsere Gesellschaft dauerhaft auf Koks, überdreht und getrieben und überfordert von den Eindrücken und Anforderungen, die tagtäglich auf sie niederprasselt. Selbst das Ausruhen ist mittlerweile mit Lernstress verbunden: Wie detoxen wir richtig? Das ist doch Wahnsinn!
Euer Comic lenkt den Blick auf eine Problematik des gesamten Superheldentums. Man kann es als anti-demokratisches, autoritäres Konzept verstehen. Denn auch Figuren wie Superman nehmen das Schicksal der Welt selbst in die Hand, spielen oft Richter und Vollstrecker in einer Person, ohne dass irgendwer sie gewählt hätte oder kontrollieren könnte. Wird diese Problematik in der Comic-Szene reflektiert?
Schon seit langem. Man kann sogar sagen, dieser Widerspruch ist dem Superheldencomic mit in die Wiege gelegt worden und tritt immer wieder – mal offensichtlicher, mal verhaltener – zutage. Figuren wie Wolverine (“X-Men”), The Punisher oder Frank Millers Batman spielen explizit mit diesem Widerspruch zwischen Retter und Rächer. Oder nehmen wir nur Rorschach aus Alan Moores und Dave Gibbons genialer Graphic Novel “Watchmen”, die bereits 1986/87 erschienen ist. Dieser depressive Comicroman zählt wohl zu dem besten, was in Sachen Superheldenkritik aus der Comicszene selbst entstanden ist.
Den gesamten Comic könnt ihr euch hier auf der Website von Alice Socal herunterladen oder hier auf der Website der Initiative „Die offene Gesellschaft“. Das Interview findet ihr in gekürzter Form auch dort.
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