Verrückt haben sie ihn genannt, als Willi Wolf die ersten Büffel auf die Schwäbische Alb trieb. Mittlerweile gehört dem Farmer die größte Büffelherde Deutschlands.
Man könnte es für Attitüde halten. Oder für einen guten Marketing-Trick. „Wenn ich Rinder hätte, wärst du doch nicht hier, oder?“ sagt Willi Wolf, zieht kräftig an seiner Reval und lässt ein breites Grinsen unter der Krempe seines Cowboyhuts aufblitzen. Eine Armlänge entfernt suhlt sich ein schwarzer Koloss im Schlamm. Ein Wasserbüffel! Hier, mitten auf der Schwäbischen Alb! Aber Matsch ist Matsch und Gras ist Gras. Und dieses Exemplar scheint ganz zufrieden, so wie es alle Viere von sich streckt, das Fell verklebt mit nasser, brauner Erde.
„Jetzt spinnt er völlig“, haben sie in Meidelstetten gesagt, als Wolf vor zehn Jahren seine Angus-Rinderzucht aufgab und die ersten Büffel über die Weide trieb. Dass ihr Enfant terrible auf Freilandhaltung setzte, war ja schon verrückt genug. Aber Wasserbüffel auf der Schwäbischen Alb ansiedeln, einer der wasserärmsten Regionen Deutschlands? Der Mann, der mit 20 seinen ersten Hof gepachtet hat, sieht darin keinen Widerspruch, nur eine Herausforderung: 36 tragende Kühe schaffte der Farmer von Rumänien ins Ländle und stellte riesige Wassertanks auf die Weide. Sie bildeten den Grundstock für eine Herde, die heute rund 170 Tiere umfasst, darunter 80 Kälber und zwei Bullen. „Schwäbische Urviecher mit Migrationshintergrund“, nennt der 60-Jährige seine Büffel stolz.
Gehörnte Riesen
Imposante Gestalten sind es, mit ihren nach hinten geschwungenen Hörnern und der halben Tonne Lebendgewicht. Riesen, ja, aber sanfte. Etwas skeptisch begutachten sie mich aus ihren tiefschwarzen Knopfaugen. Mich, den Neuankömmling auf ihrer Weide. Aber dann siegt doch die Neugierde: Langsam trotten die Giganten heran, und schon bald spüre ich feuchte Nüstern auf der Außenfläche meiner Hand. Als Trostpflaster, weil ich kein Futter dabei habe, kraule ich den Kopf einer besonders neugierigen Büffelkuh. Borstig ist ihr Fell, und ihre Schädeldecke hart wie Stahl. Aber sanfte Streicheleinheuten sind hier fehl am Platze. Wolf zeigt mir, wie man es besser macht: Mit einem knorrigen Holzstab reibt er den Rücken der Tiere entlang, bürstet verkrusteten Schlamm aus dem Fell.
Wolf und Büffel, sie verstehen sich – obwohl der eine die anderen irgendwann zur Schlachtbank führt. Wenn der Mann seine Tiere ruft, ein kräftiges „Komm-Komm-Komm“ im breiten Schwäbisch über die Alb schallt, dann kommen sie folgsam angetrottet. Namen braucht Willi Wolf nicht, um seine Herde auseinanderzuhalten. Die sind etwas für die Welt der Menschen. Der Landwirt erkennt seine Büffel an ihrem Aussehen, ihrem Gang, ihrem Verhalten. „Tiere, die man isst, haben keine Namen.“
Wenn der Schlachter kommt…
Auftritt Henriette, die Ausnahme der Regel. „Henriette ist mein Liebling, die läuft mir sogar nach“, sagt er und klopft der Büffeldame liebevoll auf die Seite. Vor dem Schlachter wird sie ihr Name trotzdem nicht retten, wenn die Zeit einmal reif ist. Da ist der Farmer pragmatisch. Seine Tiere leben gut, aber sie leben, um Kinder zu kriegen oder als Steak in unseren Mägen zu landen. Nach einem Jahr auf der Weide werden die Kälber – drei pro Woche – von einem regionalen Metzger geschlachtet und verkauft. Anders verhält es sich mit den Muttertieren, die bei einer Tragzeit von zehn Monaten durchschnittlich 30 Kälber in ihrem Leben zur Welt bringen.
Nicht alle verstehen diese Mischung aus Pragmatismus, Geschäftssinn und Tierliebe. Da gab es diese jungen Mädchen – Feriengäste aus der Stadt – die tatsächlich in einen Sitzstreik getreten waren, als der Schlachter auf den Hof gefahren kam. Einmal laut gebrüllt hat Wolf damals. „Dann sind die alle ganz schnell aufgesprungen und gelaufen!“ Ja, dieser Wolf kann einen wie mich zum Frühstück verspeisen. Wenn er will. Glücklicherweise will er gerade lieber Tee trinken. Schwarzen Tee natürlich, mit viel Zucker, aus Ostfriesland. Dort hat er gelernt, vor vielen Jahrzehnten, und von dort lässt er sich noch heute seine Teeblätter liefern. „Man muss das Gute im Leben rausfiltern“, sagt Wolf und gießt nach.
Alles Image?
„Am Anfang standen wir vor der Aufgabe, erst einmal einen Absatzmarkt zu schaffen“, erklärt mir der Farmer, nun im Geschäftsmann-Modus. Büffelmozzarella, das kannten die Deutschen. Aber Büffelfleisch auf ihren Tellern? Ein Blick in die Geschichtsbücher gab den Weg vor: Irgendwann in grauer Vorzeit waren schon einmal Büffel über die Schwäbische Alb geschlurft. ‚Albbüffel‘ nennt Wolf seine Tiere deswegen jetzt. Ein Markenname, der gut und wohlig klingt. Die beste Werbung für seinen Hof ist aber Willi Wolf selbst – ganz Marlboro-Mann mit seinen ledernen, schlammbespritzen Cowboystiefeln, den dunklen Jeans, dem Karo-Hemd und dem schwarzen Cowboyhut. Doch Wolf ist keiner, der den Cowboyhut nur für die Kameras aufsetzt. „Kann sein, dass du mich irgendwann draußen ohne Hose rumrennen siehst, aber nie ohne Hut.“ Das glaube ich ihm aufs Wort.
Heute kann er wieder lachen, so breit und laut, wie es zu einer Statur passt. Dabei stand es vor einem Jahr gar nicht gut um Willi Wolfs Albbüffel. Wenn er von damals erzählt, dann fallen weniger freundliche Worte. Sie kamen zu ihm nach Hause, die Beamten, saßen am selben Tisch wie wir jetzt, und wollten ihm erklären, dass er seine Herde zu schlachten habe. Da hielt es ihn nicht mehr auf dem Hosenboden.
Der Trick mit dem Herpes
Der Grund für diese Hiobsbotschaft: Das Land Baden-Württemberg hatte beschlossen, das Rinderherpes-Virus BHV1 komplett auszumerzen – und bei den meisten Büffelkühen von Wolfs Herde war eben dieses Virus festgestellt worden. „Dabei haben meine Tiere keine Symptome gezeigt und für Menschen ist es auch völlig ungefährlich.“ Es half nichts: Die Tiere sollten weg, weil BHV1 den Fleischimport in Länder erschwert, in denen Rinderherpes bereits ausgerottet wurde. Die Tiere bleiben, stellte sich Wolf stur, der um seine wirtschaftliche Existenz bangte. Und während die anderen keulten, strengte er ein neues Untersuchungsverfahren an und bewies, dass seine Tiere nicht mit Rinder-, sondern mit Büffelherpes infiziert waren. „Und für Büffelherpes gibt es keine Verordnung“, erklärt mir Wolf mit Triumph in der Stimme. Die Tiere durften weiterleben
Plötzlich dringt Musik an mein Ohr, irgendein Rocksong aus den Siebzigern, gepaart mit freudigem Mädchengejohle und Pferdegewieher. Wolf hat nicht nur eine Rinderzucht, sondern vermietet auch Blockhäuser und bietet Reiterferien für Kinder an. Eine zusätzliche Einkommensquelle ist das und gute Werbung für seinen Hof obendrein. Aber Wolf hat seinen Hof auch deshalb für Feriengäste geöffnet, weil er aufklären möchte. „Was die Leute heutzutage in sich hineinstopfen, ist doch Wahnsinn!“ Fleisch von Tieren, die in winzige Ställen gepfercht und so fett gezüchtet werden, dass sie nicht mehr von alleine aufstehen können. Dazu dieses Unwissen der Kinder, was die Natur angeht! „Die ekelt es, wenn sie sehen, dass ihre Milch aus dem Euter kommt!“ Und mitten in der Natur fragen sie nach einem Klo, obwohl der nächste Busch gleich nebenan wächst. Bei solchen Themen kann er sich schnell in Rage reden – und wenn man ihm dann zuhört, meint man beinahe, einen Tier- und Umweltschützer vor sich zu haben. Bis er in die Tiefkühltruhe greift, um seinen Gästen ein leckeres Büffelsteak zu braten.
Das Fernsehen klopft an
Als ich mich am nächsten Morgen verabschieden will, finde ich Willi Wolf bei Tee und Brot über ein paar zusammengehefteten DIN-A4-Zetteln brütend. Einen Film wollen sie drehen, hier auf seinem Hof. Etwas Leichtes für die ganze Familie, mit Herz, Happy End und seinen Büffeln als heimlichen Hauptdarstellern. Einmal waren sie schon hier, da hat er ein wenig aus seinem Leben geplaudert. Von seiner Zeit in Kanada, damals, als der Schwabe in die weite Welt gezogen war. Und natürlich, wie es angefangen hatte, mit den Cowboystiefeln und den Büffeln. Im Drehbuch ist davon nicht viel übrig geblieben, auch wenn sich die Filmfamilie einen Nachnamen mit dem Farmer teilt. Schlimm findet er das nicht. Aber dann muss er plötzlich laut auflachen und liest mir laut vor: „Die Büffel muhen und rollen mit den Augen.“ Mannmann, das weiß doch jeder: Büffel muhen nicht!
Anreise
Günstig, nachhaltig und entspannt zur Schwäbischen Alb reisen mit der Bahn und dem Baden-Württemberg-Ticket.
Willi Wolf
Mehr über den wilden Schaben und seine Büffel erfahren Sie hier: willi-wolf.de
Diese Reportage ist im Rahmen meiner Reihe „Deutschland extrem“ für die Online-Ausgabe von DBmobil 2015 erschienen. Aktuell leider nicht mehr abrufbar.
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