Das Interview ist gekürzt am 21. Oktober 2018 auf bento.de erschienen. Hier könnt ihr die ungekürzte Variante mit zusätzlichen Fragen lesen.
Seit Anfang September gibt es den Twitter-Account „Wahre Deutsche @Ehrenperson“. Was rechts klingt, klärt eigentlich über deutsche Geschichte auf: Mehrmals täglich twittert @Ehrenperson Kurzbiografien von Menschen, die sich durch Menschlichkeit im Angesicht des menschenverachtenden Nationalsozialismus ausgezeichnet haben.
Der Betreiber hinter dem Account möchte anonym bleiben, weil es ihm um die Personen geht, die er vorstellt – nicht um ihn selbst. Deshalb nur so viel:
@Ehrenperson hat sich nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen intensiv mit der deutschen Geschichte beschäftigt, die Morde und die Gerichtsverhandlung des NSU verfolgt und war schockiert über die Bezeichnung „Dönermorde“. Er sieht starke Parallelen zwischen der Propaganda der NSDAP und der heutigen Rhetorik rechtsextremer Gruppierungen.
Du nennst deinen Account „Wahre Deutsche“, dein Handle ist @Ehrenperson. Das klingt vom Zungenschlag eher rechts…
Den Twitter-Handle @Ehrenperson und den Accountnamen „Wahre Deutsche“ habe ich bewusst gewählt. Die Bezeichnungen stellen eine gezielte Provokation dar. Zunächst wirkt die Bezeichnung befremdlich, man stört sich daran, doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich nicht um einen rechtspopulistischen Account handelt. Das Geburtsdatum des Accounts ist der „Geburtstag“ des Grundgesetzes (23. Mai 1949), der Account folgt exakt 49 Accounts.
Viele der hier vorgestellten Menschen galten damals als „undeutsch“ oder waren faktisch keine deutschen Staatsbürger. Die Abstammung, Nationalität oder Herkunft soll hierbei keine Rolle spielen. Die bewusste Dissonanz soll den Gedanken hervorrufen, dass „Deutschsein“ nicht im Fokus steht, sondern die humane Tat der hier vorgestellten Menschen.
Otto Wels, dem SPD Politiker beispielsweise, wurde die Staatsbürgerschaft entzogen, oder Johann Trollmann, der erfolgreiche Sinti Boxer, der so gar nicht ins Bild der Nationalsozialisten passte. Johann „Rugeli“ Trollmann war wirklich ein „Troll“: Nachdem ihm der deutsche Meistertitel im Boxen aberkannt wurde, färbte er sich die Haare blond und puderte sich das Gesicht weiß, um gegen die rassistische Diskriminierung zu protestieren. Das zeugt von sehr viel Mut, für den er mit seinem Leben zahlen musste.
Welche bislang eher unbekannte Biografie hat dich persönlich ganz besonders beeindruckt und warum?
Mich faszinieren insbesondere die Einzelkämpfer, die es nicht geschafft haben Unterstützer zu finden oder Menschen zu mobilisieren. Sie haben die Situation nicht ertragen und wollten nicht tatenlos zusehen.
Georg Elser, der auf ganz alleine ein Bombenattentat auf Hitler ausüben wollte, ist hier das bekannteste Beispiel. Er ist gescheitert, weil Hitler seine Rede zu früh beendet und den räum verlassen hat. Die Bombe ging 15 Minuten zu spät los…15 Minuten, die die Welt hätten verändern können.
Die Geschichte des Robert Limpert hat mich auch sehr berührt. Er wollte gegen Ende des Weltkrieges, kurz bevor die amerikanischen Truppen eintrafen, die Bewohner Ansbachs dazu bewegen sich kampflos den Us-Truppen zu ergeben. Er erkannte die aussichtslose Lage Deutschlands im Weltkrieg und hat die Situation richtig eingeschätzt. Er wollte verhindern, dass noch mehr Menschen zu schaden kommen. Seine handschriftlichen Flugblätter auf liniertem Papier haben mich tief berührt. Er wurde nur wenige Stunden bevor die US-Truppen eintrafen im Alter von 20 Jahren erhängt.
Die Geschichte des Maurice Bavaud ist sehr faszinierend. Er wollte 1938 auf eigene Faust Hitler bei einer Parade erschießen. Er mischte sich unter die Zuschauer, konnte jedoch keine freie Sicht auf Hitler ergattern und sein Attentat nicht ausführen. Auf dem Weg nach Hause, stieg er ohne Fahrkarte in einen Zug ein und wurde ertappt. Die Gestapo fand eine Waffe und belastende Dokumente bei dem Schwarzfahrer. Er wurde hingerichtet.
Wen zeigt deine Profilgrafik? Warum hast du ausgerechnet dieses Porträt stellvertretend ausgewählt?
Das Profilbild zeigt einen nordischen Deutschen gemäß der Schautafel „Bilder deutscher Rassen“ aus dem Jahre 1935. Eine weitere Provokation, die auf die Absurdität des Rassismus hinweisen soll. Es gibt keine Rassen unter den Menschen. Es ist verstörend, dass 2018 wieder eine rassistische Partei im Bundestag sitzt, die wieder grundgesetzwidrig vorschreiben möchte, wer deutsch ist und wer nicht.
Mit welchem Ziel im Kopf hast du @Ehrenperson ins Leben gerufen, was gab den Anstoß?
Ich wollte zeigen, dass selbst in der Tötungs- und Verfolgungsmaschinerie des Dritten Reiches, manche Menschen die Humanität nicht aufgaben, während sich die meisten Mitmenschen leichtsinnig der Manipulation hingaben. Diejenigen, die Widerstand leisteten, haben die Gefahren erkannt und sie wehrten sich gegen eine faschistische Diktatur und setzen dabei ihr Leben aufs Spiel – das ist beeindruckend.
Ich möchte erreichen, dass besonders die Menschen, die heute dem Rechtspopulismus verfallen, ihr Handeln und ihre Überzeugung kritisch beleuchten. Viele scheinen das Ausmaß und die Gefahr der nationalistischen Propaganda nicht erkannt zu haben. Ich möchte darstellen, dass jeder Widerstand und Vernunft zeigen und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten kann.
Rechtspopulisten behaupten heute, sie werden vom „Merkel Regime“ verfolgt wie im Dritten Reich, das grenzt schon an Verharmlosung des Holocaust. Man kann erkennen, wie den Propagandataktiken der NSDAP nachgeeifert wird und ähnliche Hassstrukturen aufgebaut werden sollen. Was damals noch „Verjudung“ hieß, heisst heut „Islamisierung“. Die Begriffe „Überfremdung“ und „Umvolkung“ hat man einfach aus der Sprache der Nazis übernommen. Besonders erschreckend finde ich, dass aktuell PolitikerInnen im Bundestag sitzen, die diesen fatalen Abschnitt der deutschen Geschichte als „Vogelschiss“ bezeichnen oder in anderer Weise versuchen zu relativieren. Insbesondere in Deutschland ist es für mich nicht verständlich, dass sich Teile der Bevölkerung von rechtsextremer Propaganda verführen lassen. Ich vermute diese Menschen haben sich nie wirklich mit der deutschen Geschichte im Detail befasst.
Möchtest du verhindern, dass die Nazis die Deutungshoheit über den Begriff ‚deutsch‘ bekommen?
Ja. Der eventuell negativ und historisch nationalistisch bzw. rassistisch behaftete Ausdruck „wahrer Deutscher“ soll neutralisiert werden. Meine Intention besteht darin, die Bezeichnung neu zu definieren. Es soll eine Neudeutung des „wahren Deutschen“ erfolgen. Damals wie heute versuchen Rechtsextreme mit dem „Deutschsein“ bestimmte Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren bzw. auszuschließen.
Deutscher ist heute laut Grundgesetz jeder deutsche Staatsbürger, jedoch gibt es immer noch Politiker und Bürger, die „Deutschsein“ mit der Abstammung begründen, oder behaupten Deutsche mit Migrationshintergrund seien keine „echten/wahren Deutschen“. Ich habe diesen Aspekt bereits mit diversen Twitter Accounts von Gedenkstätten oder einem jüdischen Museum diskutiert und wurde bekräftigt, den Namen beizubehalten.
Der Accountname ist somit eine bewusste Provokation. Ich möchte mit dem Account ein Sammelbecken schaffen für das gesamte Meinungsspektrum, somit auch für rechtsextreme oder linksextreme Strömungen. Ziel war es zunächst unterschiedliche politisch gefärbte Meinungen zu diesen historischen Personen anzuregen. Eine politische Debatte erfolgte jedoch, bis auf wenige Ausnahmen, in dieser Form nicht. Es scheint, es gäbe hier einen gewissen Konsens darüber, dass es sich hier um Ehrenpersonen handelt, trotz offensichtlicher linksextremer oder rechtsextremer Grundeinstellungen der Kommentatoren. Ich möchte, dass sich die Menschen mit der deutschen Geschichte beschäftigen. Sie sollen sehen, wohin es führen kann, wenn man Menschen aufgrund ihrer Abstammung oder Volkszugehörigkeit definiert und diejenigen diskriminiert, die dieser Definition nicht entsprechen.
Was ist für dich ganz persönlich ‚deutsch‘?
Früher hätte ich diese Frage ganz banal mit den stereotypischen deutschen Werten beantwortet: Strukturiertheit, Präzision, Gründlichkeit, Pünktlichkeit, technisches und rationales Denken. Heute sehe ich das differenzierter und kann die Frage nicht pauschal beantworten. Ich denke so geht es vielen Deutschen. Man könnte meinen, die Deutschen befinden sich in einer Identitätskrise. Vielen fällt es schwer zu behaupten auf Deutschland stolz zu sein, oder sich als Deutscher zu identifizieren. Das kann man auch am Rechtspopulismus erkennen: Man versucht ein diffuses Gemeinschaftsgefühl mit deutschnationalen Tendenzen zu schaffen, das jedoch auf die Mehrheit der Bevölkerung befremdlich wirkt. Man kann erkennen, dass selbst unter den Deutschen ohne Migrationshintergrund kein einheitliches Empfinden für deutsche Identität vorhanden ist.
Insbesondere in Ostdeutschland scheint der Prozess einer Identitätsfindung erschwert zu sein. Heute sind es die Rechtspopulisten der AfD oder der identitären Bewegung, die diese Identitätskrise und Ängste in Teilen der Bevölkerung nutzen und bekräftigen, um wieder mit Nationalismus und einer völkischen (ergo rassistischen) Definition das Empfinden des „Deutschseins“ negativ zu färben.
Die Geschwister Scholl oder Stauffenberg kennt man, aber von vielen WiderständlerInnen auf deinem Account habe ich zum ersten Mal gehört. Wie recherchierst du?
Die Recherche ist sehr simpel, da hier sehr viel Vorarbeit geleistet wurde. Historiker, Journalisten, Archivare und Vereine haben sich jahrzehntelang und unermüdlich der Aufklärung und Wahrheitsfindung gewidmet. So gibt es beispielsweise viele Biographien auf Wikipedia, den Homepages der Dokumentationszentren des Widerstands, oder der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, die den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verleiht.
Insbesondere die Geschichten der weniger bekannten Widerstandskämpfer ist faszinierend und bedrückend zugleich. Ich freue mich besonders über Hinweise von Followern, wie beispielsweise der Hinweis zu Heinrich und Marie List: ärmliche Bauern, die einem verfolgten Juden Unterschlupf gewährten und von Dorfbewohnern denunziert wurden. Ein tragische Geschichte, die nur wenige Menschen kennen.
Ich finde besonders an den eher unbekannten Schicksalen wird das Ausmaß und die Gefahr rechtsextremer Propaganda deutlich. Wie beispielsweise bei Robert Limpert, der kurz vor dem Eintreffen der amerikanischen Besatzungstruppen im Alter von 20 Jahren erhängt wurde. Er hatte mit handschriftlichen Flugblättern die Ansbacher Bevölkerung kurz vor Kriegsende dazu aufrufen wollen, sich kampflos den amerikanischen Besatzern zu ergeben, um die Familien und die Stadt zu schützen. Ein ehrenvolles Vorhaben voller Vernunft trotz Verzweiflung. Er wurde von der Bevölkerung denunziert und sofort erhängt. An derartigen Geschichten erkennt man die Auswirkungen der effektiven diabolischen Propaganda sowie der rechtsextremen und nationalistischen Indoktrinierung.
Wie lange planst du, noch weiter als @Ehrenperson zu twittern?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Der Account ist erst seit 5 Wochen online und hat in kurzer Zeit über 4500 Follower generiert, die Reichweiten der Posts sind immens. Viele Menschen bedanken sich, liefern weitere Informationen oder beschäftigen sich mit der Thematik. Ich stelle zunächst einzelne Ehrenpersonen vor und werde zukünftig vermutlich die Profile der Personen mit detaillierteren Informationen erweitern.
Engagierst du dich auch sonst gegen rechts?
Als Jugendlicher in den 90ern war ich sehr aktiv gegen rechts, habe an Podiumsdiskussionen teilgenommen, Demonstrationen mitorganisiert und mit Freunden eine informelle Gruppe gegründet. Wir haben untereinander Informationen ausgetauscht, damals noch per MSN Messenger, uns politisch und gesellschaftlich gebildet, um nach außen bei Wahlkämpfen rechter Politiker konstruktiv kritische Frage stellen zu können.
Ich habe mich damals auch in rechtsextremen Foren undercover angemeldet, um zu schauen was dort geschieht. Damals wie heute sind die Inhalte auf derartigen Seiten erschreckend und verstörend. Rechtspopulisten betreiben aktiv und systematisch Geschichtsrevisionismus, sie verdrehen Fakten und verbreiten absurde Aussagen. Es fallen heute Ausdrücke wie „Merkel-Regime“ oder „Diktatur“. In Anbetracht der deutschen Geschichte wirkt dies perfide.
Ich habe nie aufgehört mich mit der Thematik zu beschäftigen. Auch heute bin ich noch politisch aktiv und versuche, gesellschaftlich einen Beitrag zu leisten. Ich bin Unternehmer und habe mehrere Angestellte, unter ihnen auch Geflüchtete. Mein Team ist sehr divers und leistet bewusst einen positiven Beitrag zur Integration der Migranten. Wir unterstützen sie beispielsweise bei Behördengängen oder sonstigen Alltagsproblemen. Einige haben die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, andere haben Abitur gemacht und studieren inzwischen.
Du hast dich entschlossen, lieber anonym zu bleiben. Warum?
Ich möchte anonym bleiben, da es hier nicht um mich geht, sondern um die Geschichte der vorgestellten Menschen. Ich möchte keine Aufmerksamkeit oder Bestätigung für meine Person generieren, sondern die Menschen dazu bewegen sich mit dem Thema zu befassen.
Dein Ansatz erinnert an Jan Böhmermanns Satire-Musikvideo „Be deutsch“ oder – etwas älter – „Deutschland“ von den Prinzen…
Ja, ich kenne die Videos, die mit humoristischem Ansatz auf die nationalistische Deutung des „Deutsch seins“ hinweisen. @Ehrenperson und mein Zweitaccount @Dunkelzeit verfolgen dabei eher einen traurigen und ernsten Ansatz, der fast schon bedrückend wirkt.
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