Innerer Monolog eines Klatschenden

Der Vorhang! Endlich!
Die Vorstellung war ja gut, aber ich muss wirklich aufs Klo!
Schnell und begeistert klatschen, dann geht’s auch schnell vorbei.
Mhhh, aber sollte ich auch aufstehen?
Ich gönn es ihnen ja, aber Standing Ovations bedeutet auch: längerer Applaus.
Und längerer Applaus heißt: Mehr Wartezeit bis zum Klo.
Ich bleib mal sitzen, die anderen sitzen auch noch alle.
Verdammt, warum steht der eine Typ da vorne rechts jetzt auf?
Der ist sicher mit einem Schauspieler verwandt.
Oder so ein professioneller Anklatscher. Wie beim Schah-Besuch 1968.
Mist, da vorne! Drei andere auch!
Und rechts daneben, die Frau mit den schrecklich hochtoupierten Haaren.
Die Stimmung kippt gleich!
Aber ich mach da nicht mit, ich bleibe sitzen.
So gut war es jetzt wirklich nicht, wenn man mal ehrlich ist.
Der Typ im beigen Sakko hat gerade nicht wirklich laut „Bravo“ reingerufen!? Das ist doch affig.
Und wer trampelt da mit den Füßen auf den Boden?
Sind wir hier im Kindergarten?
Okay, meine Nachbarn stehen auch auf.
Leute, denkt doch mal an meine Blase!
Hmm, bin ich jetzt echt der einzige, der noch sitzt?
Ich bleibe si…
Okay, ich stehe auf!
Wie klatscht man eigentlich richtig?
Die Hände flach aufeinander?
Nee, das sieht zu ironisch aus.
Besser in die hohle Hand, das ist auch viel lauter.
Und man muss nicht so hart klatschen.
Bloß nicht zu überschwänglich anfangen, dann tut es am Ende nur weh.
Und Ausdauer ist hier echt vonnöten.
Fuck, meine Blase.
Das Geklatsche wird echt nicht leiser.
Da muss ich wohl auch weiter machen, hilft ja nix.
Oh, die Hauptdarstellerin verbeugt sich, zugegeben, die war wirklich gut.
Muss ich wohl noch einen Zahn zulegen.
Schneller, härter klatschen.
Noch schneller, noch härter.
Glaubt der Typ neben mir etwa, er könnte lauter klatschen als ich?
Challenge accepted.
Au.
Meine Finger tun weh.
AU.
Egal.
Schneller, härter, lauter. Jetzt zieh ich’s durch.
Au. Au. Au.
Sooo, der letzte verneigt sich…
Eeendlich, alle Schauspieler sind durch.
Jetzt kommen noch mal alle zum großen Finale auf die Bühne und dann…
Fuck, jetzt drehen die nochmal einzeln ne zweite Runde!
Ey Leute, ist jetzt gut mal.
Denkt doch mal an unsere Hände!
Und unsere Blasen!
Aber selbst schuld, du Trottel!
Wir Trottel.
Haben wir glatt den Moment verpasst, den Applaus abebben zu lassen.
Sanft, aber bestimmt abebben zu lassen.
Jetzt müssen wir noch ne Runde durchhalten.
Alles andere wäre unhöflich.
Warum musstest du auch so wild klatschen?
„Challenge accepted?“ Idiot!
Lass dir das eine Lehre sein!
Wie rot können Finger eigentlich werden?
Ich spür gar nichts mehr.
Okay, Positionswechsel.
Ich klatsche jetzt einfach, als würde ich mir die Hände abwischen.
Patsch. Patsch. Patsch.
Das ist immer noch laut genug, um nicht unhöflich zu sein.
Und zeigt meinen Nachbarn, dass ich keine Lust mehr habe.
OK, die Hauptdarstellerin wieder…
Gut, ich spüre endlich Ermüdungserscheinungen beim Rest des Publikums.
Die Klatscher sind nicht mehr ganz so laut.
Das müssen die da unten doch bemerkt haben.
Ob sie trotzdem eine dritte Runde riskieren?
Wehe!
Ey Leute, ich piss euch gleich mitten auf den Sitz, wenn ihr nicht endlich von der Bühne verschwindet!!!
Nee, sieht gut aus…
So, jetzt alle nochmal zusammen auf die Bühne…
Ein letztes Crescendo zum Sendoff…
Meine Hände gehören nicht mehr zu mir.
Sie sind Teil eines anderen Körpers.
Ich spüre nichts mehr.
Das nächste Mal geh ich direkt, wenn der Vorhang fällt.
Und schreibe einen Brief und bedanke mich für die Vorstellung.
Oder lade mir Klatschgeräusche aus dem Netz und spiele sie über mein Handy ab.
SIE KOMMEN NOCHMAL WIEDER!!!
WARUM???
EY LEUTE!!
ES REICHT!
Ich höre jetzt auf zu klatschen.
Jetzt.
Jetzt sofort.
Es wird auch schon leiser.
Jetzt aber!
Jetzt aber wirklich.
Okay, einmal noch.
Uuuuund…
So, Leute, ihr jetzt aber auch!
Aufhören zu klatschen!
Aufhören!
OH MEIN GOTT ES WIRD LEISER!
DAS ENDE IST NAHE!
Du im beigen Sakko, du auch!
Aufhören!
Das Licht ist an.
DAS LICHT IST AN!
OMG!
Ich kann aufs Klo!
ENDLICH!

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