Captain America kann einstecken: Dank Trash-Gott Jörg Buttgereit vermöbelt seit einigen Jahren ein deutscher Superheld die Nazis.
Ein echter Superheld schert sich nicht um Ruhm oder Geld; er erwartet keinen Dank, keine Paraden. Sein Kampf spielt sich im Verborgenen ab, im Schatten der Nacht, wo er für das Gute streitet, damit wir Ottonormalsterblichen seelenberuhigt in unsere Kissen sabbern können.
Aber verdammt nochmal! Da hüpft seit 70 Jahren ein Typ in Spandex durch Berlin – und ich habe noch nie von ihm gehört??? Skandal. Doch an der Bahnhofsbuchhandlung Altona, versteckt zwischen den neusten Simpsons-Anthologien, einem Zeichenkurs für „Die Legende von Korra“ (die hochgradig empfehlenswerte Nachfolgeserie von „Avatar – Der Herr der Elemente“) und einigen Star-Trek-Romanen, sollte sich diese Wissenslücke schließen. Da lag ein Comic, der so anders war als alles um ihn herum. Grell und laut und pulpiger als ein Teller Tintenfische. Schon das Cover: Ein muskulöser Nazi-Zombie mit Wehrmachtshelm stemmt eine gelb-rote Superheldengestalt in die Höhe. Der arme Tropf- das musste CAPTAIN BERLIN sein. Jörg Buttgereits CAPTAIN BERLIN, wie mir der Titel verriet. Wer war dieser Mann? Und was hatte es mit „Hitlers Homunkulus“ auf sich? Ich musste das Heft haben. Und 4,90 Euro später hatte ich es.
Wo bei Superman ein goldenes „S“ auf der Muckibrust prangt, trägt der Cap zwischen rechter und linker Muskeltitte das Wappenzeichen der deutschen Hauptstadt. Schwarzer Bär auf gelbem Spandex-Grund – mehr Berlin-Branding braucht es nicht. Da kann das Restoutfit ruhig aus der Klischeekiste kommen. Cape um, Maske auf, Stiefel an. Fertig.
Natürlich kann es für den größten deutschen Superhelden nur einen einzigen würdigen Endgegner geben: Superbad Adolf höchstpersönlich. In der ersten Ausgabe werden wir Zeuge, wie der Captain den Zweiten Weltkrieg beinahe eigenhändig beendet hätte. Doch sein Plan, dem GröFaZ das Handwerk zu legen, scheitert, weil ihm ein gewisser Herr Stauffenberg dazwischenfunkt. Trief, trief, Ironie. In Ausgabe zwei, eben jener, die mich in der Auslage so fasziniert hatte, schlägt der Führer zurück und erschafft in feinster Frankenstein-Manier einen Nazi-Zombie mit wenig Grips, aber ordentlich Wut im Bauch.
Aber auch im Hier und Jetzt ist der Captain aktiv. Zum Beispiel, wenn nach der Atomkatastrophe von Fukushima plötzlich FUKUDA aus den Tiefen des Meeres auftaucht, ein gigantisches Monster, das sich Europa zum Spielplatz erkoren hat. Oder wenn ein Klon (!) des Elefantenmenschen Joseph Merrick (!!) in London Amok läuft.
Ja, der Zahn der Zeit beißt sich am Captain die selbigen aus. Ob 1945 oder 2015 – faltenlos flattert der deutsche Supermann durch die Nacht. Seine Anti-Aging-Creme müsste man haben! Oder die von Ilse von Blitzen, der Erzfeindin des Captains, deren Kurven die Zeiten ebenso folgenlos überdauert haben. Von Blitzen, die aussieht als wäre sie direkt einem Stalag-Heftchen entsprungen, ist nicht nur Leibärztin des Führers, sondern auch verantwortlich für das Ableben eines gewissen King of Pop.
Erfunden wurde „Captain Berlin“ übrigens schon in den frühen 1980ern – Jörg Buttgereit drehte damals einen Super8-Film über den deutschen Superhelden, es folgten WDR-Hörspiel und Theaterstück – und nun eben eine Comic-Serie.
Fazit: Ein Trash-Fest, gegen das sich „Iron Sky“ wie von Wim Wenders gedreht ausnimmt. Herrrrrrrrrlisch.
Getextet ursprünglich 2014 für meinen stern.de-Comic-Blog „Vom Leben gezeichnet“ (Archiv). Die Comic-Reihe existiert 2020 noch immer – und ist mittlerweile auf neun Hefte angewachsen. Und meine Ausgabe #2 hat mittlerweile Sammlerwert! Cover: © Weissblech Comics
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