Jens Wiesner präsentiert Meilensteine der musischen Lyrik. Heute: „Die gestiefelte Briefkastenoma“ der Frog Bog Dosenband. Ein Zyklus in zwölf Teilen.
Man sagt, die größten Poeten unserer Welt lebten unerkannt unter uns und stürben, ohne dass ihre Worte jemals das Ohr eines fremden Menschen geküsst hätten. Dem Dichterkollektiv, das vor einem Vierteljahrhundert die Frog Bog Dosenband ins Leben rief, wäre beinahe ein ähnliches Schicksal widerfahren. Wie so vielen Pioniere auf unserem Erdenrund kamen auch diese Vorreiter der dadaistischen Wortakrobatik mit ihrem Schaffen zu früh – und stießen in breiten Teilen der Gesellschaft auf Unverständnis, ja sogar auf unverhohlene Ablehnung. Tatsächlich sollten sich die Botschaften des Kollektivs nur in einem kleinen Fleck im Südzipfel Niedersachsens verfangen. Aber das alte Sprichwort hatte wieder einmal recht: Wer sein Pulver auf engem Raum verschießt, dessen Flamme brennt umso intensiver.
Die Texte der Frog Bog Dosenband negierten den Zwang zum Sinn und griffen doch ganz handfest die Probleme einer Jugend auf, die sich nach dem Wegfall der sinnstiftenden Bipolarität des Kalten Krieges in einer Welt der 1000 Möglichkeiten wiederfand, nur um an eben diesem Optionenpluralismus zu verzweifeln:
Ich wär gern eindimensional, so wie ein zweidimensionales Lineal. Ich wär‘ gern glänzend, matt und transparent wie Polyethylen. Dann kann man mich beim Onanieren nicht mehr seh’n.
Dem Gerstensaft, zweifelsfrei Treibstoff ihrer überbordenden Genialität, setzten die Poeten mit ihrem kryptischen Werk „Ess Ahh Uhh Eff Ehh und Enn“ ein ambivalentes Denkmal und schlugen mit einem schnoddrig angehängten „sind meine Lieblingsbuchstaben“ mal eben so den Bogen von der Sesamstraße zur Alkoholabhängigkeit.
Die Ballade vom Hubert („Unter einem Essigbaum sitzt ein dicker Mann, der an einem schönen Tag so manches Glas vertragen kann.“) schlägt in dieselbe Kerbe. ‚Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Hubert?‘ mögen wir uns fragen. Doch so einfach ist es eben nicht. Und während wir noch meinen, die Botschaft der Ballade durchschaut zu haben, ja sogar leichter Tadel an ihrer offensichtlichen Simplizität aufkommt, ziehen uns die Poeten den metaphorischen Teppich unter den Füßen weg. Denn Hubert ist eben keine „Katze, keine Biene und kein Hase“. Nein, Hubert ist „eine frisch verliebte Mondverdunklungsphase.“ Wehe dem, der sich anmaßt, das eigene Ich in unser Gegenüber zu projizieren. Der Andere, so weiß es der Dichter, bleibt in letzter Konsequenz eben doch eine Black Box.
Unter einem Essigbaum sitzt ein dicker Mann, der an einem schönen Tag so manches Glas vertragen kann.
Heute wird der Frog Bog Dosenband gerne ein Hang zum Nihilismus nachgesagt. Die real existierenden Nöte des kleinen Mannes hätten sich spätestens auf der dritten Metaebene verloren, ätzte einmal der viel zu früh verstorbene Marcel Reich-Ranicki. Das ist grundfalsch. „Des Bauers Hof“, ein Werk, das eine zentrale Stellung im Schaffen des Kollektivs einnimmt, prangert den Werteverfall einer Welt an, deren Transformation hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ausgerechnet jene Menschen marginalisiert, deren Arbeit doch erst den Treibstoff für unser Funktionieren garantiert. „Der Bauer ist ein Doofmann. Ich zünd ihm seinen Hof an. Die Scheune brennt ganz wunderbar, die Schweine lichterloh.“
Die Bauersfrau, die kleine, die macht dem Bauern Beine. Er soll zwei Eimer Wasser hol’n und nicht einen Sack voll mit Mehl.
Aber die Dosenband wäre nicht die Dosenband, hätte sie nicht schon das Ende dieser tragischen Entwicklung vorhergesehen. „Die Bauersfrau, die kleine, die macht dem Bauern Beine. Er soll zwei Eimer Wasser hol’n und nicht einen Sack voll mit Mehl.“ Es ist eine Tragödie: Anstatt den gesellschaftlichen Brand am Brandherd zu bekämpfen, schlagen die existentialistischen Ängste des kleinen Mannes in brandbeschleunigende, selbstzerstörerische Wut um.
An ein Ende mit Schrecken können (wollen?) die Dichter aber nicht glauben. Immer wieder blitzt die Hoffnung in ihren Texten durch, dass die Empathie dem Egoismus eben doch überlegen sein wird. „Draußen scheint die Sonne, drum geh’n wir in den Wald, tapezieren da die Bäume, dann wir wissen, ihnen ist kalt.“ Wie eine wärmende Decke legt sich die Tapete des Mitgefühls um die schutzlosen Mitglieder unserer Gesellschaft.
Im „Zitronenmann“ werden gar – äußerst selten im Ouevre des Kollektivs – konkrete Lösungsansätze aufgezeigt.
„Wie kommt ein kleiner Mann oben ans Regal heran? Schaffen tut er es nur dann, wenn er auf Stelzen laufen kann.“
Ob sich die Dichter hier wirklich zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, wie Popliterat Christian Kracht einmal sehr simplifizierend interpretierte? Geht es um Hilfe zur Selbsthilfe? Oder liest sich aus den Zeilen eben doch ein versteckter Aufruf zur revolutionären Umverteilung des Reichtums heraus, wie Stéphane Hessel in seinem Essay „Empört euch!“ feststellte?
Wir werden es wohl nie erfahren. Einer Interpretation ihres Werkes verweigern sich die Dichter. Vielleicht liegt die Antwort ja tief vergraben in ihrem Geldschrank mit der Nummer 5, 5, 6, 6, 10, 10, 9, 9, 1, 2, 5, 5, 5, 5, 5, 5?
Ach, wüssten wir doch nur, wo dieser Geldschrank steht!
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