Korkenzieher, Modeschmuck – und das zynischste Vogelhaus der Welt. Helmut Glantz sammelt alles rund um die Katze. Aber eigentlich sammelt er Geschichten. Ich habe den Rentner in seinem privaten Katzenmuseum in Berlin getroffen – und einer echten Katzendame unter den Rüschenrock gelugt.
Einfach so ins Katzenmuseum spazieren, das geht nicht. Man muss Helmut Glantz vorher anrufen, einen Termin vereinbaren. „Kommen Sie am Montag um 14 Uhr in die Luisenstraße 38“, flüstert die gesichtslose Stimme durch den Hörer in mein Ohr. Es fühlt sich absurd konspirativ an, als wäre das Museum nur Tarnung für einen Terroristenhort oder einen Drogenumschlagplatz.
Vom S-Bahnhof Lichterfelde-Ost sind es nur ein paar Minuten zu Fuß bis zur Luisenstraße. Es ist eine unaufgeregte Gegend. Touristen und Hipster verirren sich nur selten in die von Gewerbegebieten und Mietshäusern geprägte Landschaft. Von den stattlichen Gründerzeitvillen, die den Westteil Lichterfeldes so begehrlich machen, sehe ich auf dem Weg zum Katzenmuseum nichts. Das Klingelschild an der Haustür beschränkt sich selbstbewusst auf das Wesentliche: „Museum“, steht dort, schwarze Druckschrift auf weißem Grund. Wer es bis hierher geschafft hat, weiß, worum es geht.
Der Mann, der mir die Tür öffnet, sieht nicht aus, als würde er Drogen verkaufen oder fiese Anschlagspläne schmieden. Ich blicke in ein sanftes Opa-Gesicht, ein beigefarbener Strickpullunder spannt sich über ein rundes Bäuchlein. Helmut Glantz gehört zu jener Sorte Mensch, die auf Anhieb dieses besondere Gefühl von Gemütlichkeit ausstrahlt. Einer, dem die Hektik des Alltags nicht mehr anhaben kann; einer, der mit einem Augenzwinkern dem Müßiggang des Alters frönt.
Aber, holy fuck, hat dieser Opi noch alle Sinne beisammen? Einsortiert in Regale, drapiert in Vitrinen, aufgehängt an Wänden – wohin ich meinen Blick auch schweifen lasse, starren Katzen zurück. Keine echten Katzen, nein, aber Figuren, Vasen, Bilder, Schmuck, Spielzeug und Gebrauchsgegenstände, deren Gebrauchswert sich erst auf den dritten Blick erschließt. Katzen-Zahnstocherhalter, Katzen-Schokoladenanreichen, Katzen-Fingerhüte, Katzen-Tischlampen, Katzen-Spieluhren. Und Katzen-Sexspielzeug??? Iwo, beruhigt mich Glantz: „Das ist ein Vogelhäuschen!“
Wie viele Ausstellungsstücke in seinem Museum zu sehen sind, weiß der pensionierte Bankangestellte längst nicht mehr. Allein seine Porzellanfiguren gehen in die Tausende. Aber wie kann man hier, inmitten dieser felinen Übermacht wohnen, ohne verrückt zu werden? „Gar nicht“, beruhigt mich Helmut und lacht. Er lebe ein Stockwerk höher, gemeinsam mit seiner Frau. „Entweder die Katzen oder ich“, hatte die ihm vor 13 Jahren angedroht. Glantz entschied sich für beides – und mietete eine weitere Wohnung im Haus an, in der er seine Sammlung zum ersten Mal standgemäß präsentieren konnte.
„Natürlich ist auch einiges an Kitsch dabei“, sagt er, schließt eine Vitrine auf und holt seine allererste Porzellankatze hervor. Damals, 1948, hatte es begonnen. Berlin lag noch in Trümmern, aber auf dem Rummel war der Welt schon wieder ein Stück heiler. Zumindest fühlte es sich so an für den jungen Bub Helmut, der so gut Ringe werfen konnte, dass als Belohnung eine Porzellankatze winkte. Inmitten all dieser Kuriositäten wirkt die kleine Figur schlicht, fast unscheinbar. Und doch gehört sie zu den wichtigsten Ausstellungsstücken, ein Talisman wie Dagobert Ducks erster selbstverdienter Kreuzer.
Die meisten Exponate hat Helmut Glantz auf seinen Streifzügen über Flohmärkte ergattert. Es sind diese Fundstücke, auf die er besonders stolz ist. Die Katzen, die eine Geschichte erzählen. Wie diese Porzellantasse, die 105 Jahre in der Erde vergraben lag. Ein befreundeter Lehrer hatte sie ihm mitgebracht, nachdem er kurz nach der Wende auf einer alten Mülldeponie auf Schatzsuche gegangen war.
Aber keine Geschichte konnte mich auf die Begegnung mit Eleonore von Brabant vorbereiten. Das Prunkstück von Glantz‘ Sammlung wartet im hinteren der drei Zimmer auf uns: Tüll und Stoff hüllen einen menschlichen Körper ein, der sich am Hof des bayerischen Sonnenkönigs wohl gefühlt hätte. Doch unter dem breitkrempigen Hut blickt das Gesicht einer Katze auf mich herab. Ich muss mich zusammenreißen, keinen Knicks zu machen und der anthropomorphen Katzendame einen Handkuss zu geben. Stattdessen starre ich auf ihren Busen. Ein enormer Busen ist das, hochgeschnürt bis zu den Achselhöhlen. Das Korsett, das Eleonores Taille auf Wespengröße hat schrumpfen lassen, macht die Sache nicht besser. Und die Tatsache, dass sie eine – tierische – Artgenossin an der Leine herumführt.
„Die wurde extra für eine Schmuckausstellung in Großbritannien hergestellt“, erklärt mir Helmut Glantz und kann seine Begeisterung kaum verbergen: „Komplett angezogen!“ Zum Beweis hebt er den Unterrock hoch und lässt mich herunterlugen. Mein Blick wandert Eleonores lange Beine hinauf und goutiert transparente Seidenstrümpfe, Rankenmuster. Selbst ein Höschen trägt die Katzendame! Vier Leute hätten um ihre Hand geworben, erklärt mir der Sammler, aber er war es, der als Sieger aus dem Bieterwettbewerb hervorgegangen ist. Ich schlucke und denke an etwas Unerotisches.
Das wertvollste Exponat in Glantz‘ Sammlung ist allerdings eine andere Katzendame, eine grüne Porzellanfigur aus der Manufaktur KPM Berlin. Mehrere 1000 Euro wäre das Stück aus den 1920ern heute wert. Glantz ist das egal. Das Herz des Sammlers unterscheidet nicht zwischen Kitsch und Kostbarkeit. Viel wichtiger sind ihm die Bekannt- und Freundschaften, die in den vergangenen Jahren zwischen ihm und den Besuchern seines kleinen Museums entstanden sind. Manche feiern sogar ihren Geburtstag hier oder treffen sich zum gemeinsamen Kaffeekränzchen. Glantz‘ Frau bereitet dann Kaffee und Kuchen zu, gespeist und geklönt wird gemeinsam in der Küche.
Während das Museum in Berlin noch immer als Geheimtipp gilt, hat sich unter den Katzenfreunden dieser Erde längst herumgesprochen, welcher Schatz sich in der Wohnung des Berliner Rentners verbirgt. Wie vor ein paar Jahren, als tatsächlich ein Katzennarr aus Japan den weiten Weg nach Berlin auf sich nahm. „Ich war kurz in der Küche und hab den plötzlich auf dem Boden liegen sehen. Ich dachte, der hätte einen Herzinfarkt bekommen.“ Hatte er nicht. Der Mann war schlicht vor Ehrfurcht und Freude auf die Knie gegangen.
Doch es sind nicht nur Katzenfreunde, die ihren Weg in die Luisenstraße finden. Viele Sammler kommen auch der Logistik wegen. Wie hat Glantz das ewige Platzproblem gelöst? Wie seine Vitrinen zusammengezimmert? Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm die Frau mit den Tortenhebern. Das fand selbst Glantz verblüffend: „ Die hat tatsächlich nur Tortenheber gesammelt!“ Aber praktisch sei das schon: „Wenn der Sammeltrieb so eng eingegrenzt ist, hat man weniger Platzprobleme.“
Der Platz war es auch, der Glantz schließlich Einhalt geboten hat. „Eine Dreizimmerwohnung voller Katzen – das ist genug“, sagt er. Auf Berlins Flohmärkten treibt er sich aber weiter herum. Man wisse ja nie, ob nicht doch noch irgendwo eine ganz besondere Katze auf ihn wartet. Und für die würde Helmut Glantz selbstverständlich eine Ausnahme machen.
Adresse: Luisenstraße 38, 12209 Berlin; Telefon: 030 772 51 49; Öffnungszeiten: Besichtigung nur nach Terminvereinbarung möglich; Eintrittspreis: frei
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