Heimatfront: Wenn die Eltern zweimal klingeln

Nach dem Auszug ist vor dem Elternbesuch. Wie man dabei Mord und Totschlag vermeidet, habe ich für das JS-Magazin aufgeschrieben. Ein Servicestück mit Augenzwinkern.

Neulich habe ich mit meinem Vater telefoniert. Und natürlich fielen die magischen Worte, die immer fallen, wenn ich mit meinem Vater telefoniere „Wann kommst du eigentlich mal wieder vorbei?“ fragte Herr Papa in diesem leicht tadelnden, leicht enttäuschten Tonfall, der bei mir regelmäßig Schuldgefühle von der Größe eines Schwarzen Lochs auslöst. Seit Monaten hatte ich mich nicht mehr zu Hause blicken lassen. Und mein Abschied damals, am Abend des Zweiten Weihnachtstags, war eigentlich mehr eine Flucht gewesen.

Beschweren kann ich mich nicht, hatte ich doch meine eigene, eiserne Drei-Tage-Regel verletzt. Unter keinen Umständen, so hatte ich mir schon vor Jahren geschworen, bleibst du länger als drei Tage am Stück zu Hause. Eine Nacht in meinem Elternhaus wirkt effektiver als jeder Jungbrunnen: Man wacht auf und findet sich um jeweils zehn Jahre verjüngt wieder. Dummerweise betrifft das nicht nur den Umgang meines Vaters mit mir, sondern auch mein eigenes Verhalten.

Am ersten Abend ist es noch harmlos: Ich werde davor gewarnt, bitte nicht alkoholisiert Auto zu fahren und nicke milde lächelnd. An Tag zwei verlangt Väterchen dann Auskunft, wo ich „so spät“ denn noch hinwolle. Es ist 22 Uhr. Mein Geduldsfaden spannt sich spürbar. An dritten Tag fängt er mich an der Haustür ab. Ob ich mir denn auch die Lippen eingeschmiert hätte? Draußen sei es doch so kalt. Als er mir einen Labello in die Hand drückt, brülle ich los wie zu schönsten Pubertätszeiten. Ich hab‘ ihn ja echt gerne, aber: Gnarrrrrrrrr!

Zuhause herrscht Arbeitsverbot

Das Kriegsbeil über einen anderen Streitpunkt konnten wir indes begraben. Ich habe in diesem Heft bereits davon berichtet, dass es mein Vater in Sachen Sauberkeit etwas genauer nimmt. Stichwort Geschirrspülmaschine von innen wienern. Und ja, es fällt mir auch heute noch schwer, Verständnis für Papas seltsamen Reinlichkeitsfimmel aufzubringen. Aber: Die Wohnung, die wir 20 Jahre geteilt haben, ist jetzt sein alleiniges Reich. Er ist der Babo, er macht die Regeln. Drei Tage lang kann ich mich dem beugen, auch wenn es bedeutet, Wasserflecken aus dem Inneren des Geschirrspülers zu rubbeln oder die Ecken, die unser Rasenmäher nicht erreicht, mit der Nagelschere zu stutzen. Sehen wir‘s als Bezahlung für die Fertigpizzen, die Vater dezent in den Tiefkühler packt und selbst nie anrühren würde. Eine Hand wäscht die andere.

Zeit für ein bisschen Hilfe zu Hause habe ich sowieso en masse, seitdem ich darauf verzichte, meinen Laptop mitzunehmen. Ja, ich könnte meinem Vater darauf Fotos zeigen – aber zu groß ist die Versuchung, nur mal eben kurz Mails zu checken und versunken in einem Haufen Arbeit am Esszimmertisch zu enden. Seitdem ich ausgezogen bin, habe ich mir striktes Arbeitsverbot für meine Besuche erteilt. Lieber fahre ich einen Tag früher als geplant oder sage meine Visite kurzfristig ab. Das macht Herrn Papa zwar auch nicht glücklich, verhindert aber, dass wir uns über mein angebliches Desinteresse in die Wolle kriegen.

Esszimmer
Praktisch, so ein Bahnhof in der Nähe: Bringt einen schnell hin – und bei Bedarf schnell wieder weg 

Mein großer Vorteil: Ich bestimme Frequenz und Dauer unserer Treffen. Und da schweißen 250 Kilometer Entfernung Vater und Sohn enger zusammen als jedes gemeinsame Hobby. So klappt’s auch mit dem Abnabelungsprozess. Ganz genau verstehe ich nämlich nicht, wie meine Freunde es aushalten, mit ihren Eltern in derselben Stadt zu wohnen. Wenn nicht der wöchentliche Anruf, sondern der wöchentliche Besuch zur Pflicht wird. Wenn die Eltern jeden Moment auf der Hausmatte stehen können. Natürlich unangemeldet. Kontrollbesuch mit Kuchen in der Hand.

Besser ehrlich als gar keine Beziehung

Am Ende hilft nur eins, verriet mir ein Freund neulich: Karten auf den Tisch und Tacheles reden! Den Eltern freundlich aber bestimmt erklären, dass man ein eigenes Leben führt, eine eigene Familie und Freunde hat, mit denen man auch Zeit allein verbringen will. Und keine Angst davor haben, sie mit dieser Bitte zu verletzen. Denn egal, wie freundlich man die Sache auch erklärt – verletzend ist es immer, wenn man jemandem ins Gesicht sagt, dass er (manchmal) nicht willkommen ist.

Das mag kurzfristig zu einigen bösen Worten führen und zu extremen Schuldgefühlen auf Seiten der Kinder. Aber langfristig nutzt entwaffnende Ehrlichkeit ungemein. Mein Freund freut sich jedenfalls wieder, wenn seine Eltern mit einer selbstgebackenen Torte vorbeischneien. Was wäre die Alternative gewesen? Nichts sagen und eine passiv-aggressive Grundstimmung bei jedem Zusammentreffen erdulden? Der große Knall wird kommen – und irgendwann zerplatzt der Familienfrieden, den man mit aller Kraft aufrecht erhalten wollte, dann doch in einem Atompilz angestauter Gefühle. Bei einigen Bekannten ist genau das passiert, manche haben seit Jahren nicht mehr mit ihren Eltern geredet. So ein heftiger Bruch lässt sich extrem schwer wieder kitten – vor allem, wenn sich beide Seiten im Recht sehen.

Dem Kompromiss, feste wöchentliche Besuchstage für Mama und Papa einzurichten, stehe ich aber skeptisch gegenüber. In einer TV-Serie wie den „Gilmore Girls “ mag das funktionieren, doch am Ende bleibt es zwanghafter, verordneter Termin. Es sei denn, Kinder und Eltern schaffen es, eine nette Tradition daraus zu schneidern: das gemeinsame Kochen, der Skatabend mit der ganzen Familie.

Einen Besuchstermin mit einem konkreten Plan zu verbinden, ist auch eine gute Taktik für Besuche aus größerer Distanz. Selbst die Königsdisziplin, einen väterlichen Besuch in meinem eigenen Zuhause, überstehe ich so größtenteils unbeschadet. Und wenn mein Vater und seine Freundin dann an meiner Türschwelle stehen, um gemeinsam ins Hotel zu entschwinden, drücke ich ihm ganz beiläufig einen Labello in die Hand. Lippen eingeschmiert?


Zuerst erschienen im JS-Magazin im Juli 2014


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