Wie sich Liebe und Sex im Alter verändern

Beziehungen in der heutigen Fernsehlandschaft scheinen eine Gemeinsamkeit zu teilen: Sie finden ausschließlich unter jungen Paaren statt. Überschreiten wir diese gewisse Altersschwelle um die fünfzig, scheint eine ungeschriebene gesellschaftliche Regel von uns zu verlangen, nicht mehr über dieses Thema zu reden.

Bei aller Aufklärung – die Bedürfnisse von älteren Menschen nach Liebe, Geborgenheit und Sexualität bilden noch immer ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft.

„Natürlich unterscheiden sich die Beziehungen im höheren Alter von denen jüngerer Generationen“, stellt Ute Sommer vom Geschäftsbereich Altenhilfe und Pflege der Caritas Osnabrück klar. Zeichen der Zuneigung und der Austausch von Zärtlichkeiten rücken nun stärker in den Vordergrund.

„Die Liebe wird ruhiger“, stellt Rudi Götz, seit über 51 Jahren glücklich verheiratet, fest. Dies bestätigt auch seine Frau Helga. „Solange man jung ist, spürt man, dass man begehrenswert ist“, erklärt die 74-jährige Augsburgerin, „Als ältere Frau bin ich unsicherer geworden und brauche vielleicht deshalb mehr Zeichen der Bestätigung und der Wertschätzung.“

Für uns war es erschreckend, dass selbst in unserer so aufgeklärten Zeit jüngere Ehepaare so große Schwierigkeiten hatten, sich darüber auszutauschen.

-Helga und Rudi Götz, beide 74

Aber natürlich verschwindet der Geschlechtsverkehr nicht vollständig aus dem Leben älterer Menschen, auch wenn die Probleme bei seiner Ausführung zunehmen. „Gerade bei Menschen in unserem Alter können Krankheiten das „Liebesleben“ recht schön durcheinander bringen“, beschreibt die Rentnerin, „Für mich ist das eine Zeit, in der sich wahre Liebe beweisen muss, viel mehr als in den ersten stürmischen Jahren.“

Besondere Bewährungsprobe für eine langjährige Beziehung bedeutet ferner der Zeitpunkt, wenn Söhne und Töchter das Elternhaus verlassen. Hat sich das Ehepaar zuvor häufig über die Kinder definiert, müssen beide Partner nun aufs Neue das Miteinander in Zweisamkeit erlernen. „Wir haben in dieser schwierigen Situation ein Eheberatungswochenende bei ‚Marriage Encounter’ gemacht“, erinnert sich Helga Götz, die dort gelernt hat, „wieder aufeinander zu hören, einander anzunehmen wie wir sind und uns gemäße Formen der Liebe zu suchen.“

Auch mit der Aufgabe der Berufstätigkeit des Partners sind Risiken für eine Partnerschaft verbunden. „Es kommt zur abrupten Abnahme der Leistungsanforderungen und der Bestätigung des Mannes“, schildert Ute Sommer. Häufig versuche dieser als Ausgleich, häusliche Aktivitäten wahrzunehmen, die über Jahrzehnte hinweg von der Ehefrau ausgeführt wurden.

30 Jahre lang ist Hildegard Tschöpe nun verwitwet. Noch einmal heiraten wollte die heute 86-jährige redefreudige Seniorin nicht. Langweilig war ihr Leben ‚danach’ dennoch nie. Neben ehrenamtlichen Engagement in diversen Organisationen und Vereinen war sie über 50 Jahre lang aktives Mitglied in der Seniorenbetreuung: „Da konnte man viel lernen für das jetzige Alleinsein.“ 

Worüber wir in Loriots ‚Papa ante portas’ noch herzhaft lachen konnten, im realen Leben kann es zu erheblichen Beeinträchtigungen im Selbstwertgefühl der Frau führen. So paradox es klingen mag: Zuviel Nähe führt zum Bedürfnis, in Distanz gehen zu wollen. „Man muss sich gegenseitig Freiraum lassen“, weiß Rudi Götz. Besonders wichtig seien deswegen die ganz bewusst voneinander getrennten Aktivitäten und Hobbys neben der Ausübung von gemeinsamen Interessen.

Was geschieht aber, wenn ein Ehepartner schwer erkrankt und pflegebedürftig wird? „Gesunde Ehepartner räumen nicht gerne ein, weiterhin Wünsche zu haben“, erklärt Sommer die Schuldgefühle und Ängste, dem Kranken nicht gerecht zu werden, „Andere könnten denken, dass sie egoistische und schlechte Betreuer wären.“

Auch mag es vorkommen, dass sich der gesunde Partner körperlich immer weniger zum Kranken hingezogen fühlt. Die einstige gleichberechtigte Liebesbeziehung wandele sich mehr und mehr in ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis.

Manchmal ist es dann der größere Liebesdienst loszulassen und dem Kranken eine professionelle Pflege zu erlauben, wie sie der Partner alleine nicht mehr leisten kann

– Pflegedienstleiterin Marianne Witte vom Haus St. Josef in Georgsmarienhütte

Wie im Fall von Margarete Simon: Als sie schwer erkrankte, konnte sich ihr Mann – selbst herz-, lungen- und zuckerkrank – nicht mehr persönlich um die notwendige Pflege kümmern. „Aber er kommt mich jeden Tag besuchen“, freut sich Simon, die im Altenheim das Laufen neu erlernt hat.

Die Vorstellung von einer ‚Abschiebung’ ins Altersheim sei völlig falsch, versucht Marianne Witte das noch immer gängige Klischee zu entkräften. Den meisten Angehörigen falle es im Gegenteil sehr schwer, sich zu einer solchen Entscheidung durchzuringen. „Dabei ist, besonders nach dem Tod eines Ehepartners, die Einsamkeit zu Hause meist die größte“, resümiert sie.

Eine Verbesserung ihrer Beziehung bedeutete Margarete Simons Umzug ins Alten- und Pflegeheim St. Josef in Georgsmarienhütte. Jeden Tag erhält sie Besuch ihres Mannes, während sich geschultes Pflegepersonal um ihre Bedürfnisse kümmern kann. 

Aufgrund der veränderten Relation zwischen Frauen und Männern wird es für die Hinterbliebenen im höheren Alter immer schwieriger, einen neuen Partner zu finden, was sich allerdings nur wenige auch offen wünschen. Hinzu kommt das gesellschaftliche Umfeld älterer Menschen, das einer neuen Beziehung oft ablehnend gegenübersteht. „Es wird befürchtet, dass das Heimpersonal oder auch Mitbewohner sich durch die Beziehung gestört fühlen“, erklärt Ute Sommer ihre Beobachtungen.

Oft fehle auch der Mut, sich noch einmal auf eine neue Partnerschaft einzulassen. So entstehen neue Beziehungen im Alter oft zufällig, bei einer Begegnung im Café, auf dem Friedhof oder bei einem Besuch bei den Kindern. Und längst ist auch das Internet mit speziell auf ältere Nutzer zugeschnittenen Angeboten zu einer regen Austausch- und Kontaktbörse für die so genannten „Silver Surfer“ geworden.

Auf diese Weise steht es heute auch der älteren Generation offen, Kontakt mit der ganzen Welt zu halten – ganz bequem vom eigenen Wohnzimmer aus.


Erschienen im September 2008 in der Kibo-Osnabrück-Seniorenbeilage „Die Senioren sind nicht mehr die Alten“


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