Studentenjob: Sex-SMS

Tobias (Name geändert) hat während seiner Unizeit in Nordrhein-Westfalen mehrere Jahre einen Sex-SMS-Dienst betreut. Im Interview spricht der Mittzwanziger über Verdienstmöglichkeiten, Skrupel und die skurrile Vorlieben seiner Kunden.

Tobias, wie kommt man dazu, in einem Sex-SMS-Dienst zu arbeiten?
Ich hab damals eine Anzeige in einem Kleinanzeigenblatt gelesen – „Mitarbeiter für Chatbetreuung gesucht!“ – und mich da vorgestellt. Die Chefs meinten dann zu mir, ‚Du weißt, worum es geht?‘ Wusste ich nicht, aber man kennt das ja aus der Werbung, ‚Ruf mich an!‘ und so. Da dachte ich dann, gut, kann man ja mal machen und hab mich an den Rechner gesetzt.

Wie läuft so etwas ab?
Das ist im Grunde Callcenter-Arbeit. Kann man auch gut von zuhause machen oder von irgendeinem Ort mit Internetzugang. Man hat ein Modul geöffnet, zwei Fenster, eins für das, was du geschrieben hast, eins für das, was der Kunde per SMS schreibt – die letzten zehn Nachrichten sind immer sichtbar. Jeder Kunde hat aber nur eine Session, damit die Kontinuität auch gewahrt wird, wenn Schichtwechsel ist. Am Anfang wird nämlich eine Persönlichkeit entworfen, die auf seine Vorlieben eingeht. Und diese Rolle wird dann von verschiedenen Leuten übernommen, je nachdem, wer gerade Dienst hat. Manche Sessions gehen ja teilweise über Wochen oder sogar Monate…

Merkt der Kunde denn nicht, dass seine ‚Jacqueline 83‘ eigentlich von ganz unterschiedlichen Leuten gespielt wird? 
Manchmal geht das schon schief –  vor allem dann, wenn das Profil nicht ordentlich aktualisiert  wurde.

Dann hat ‚Jacqueline‘ plötzlich blondes und nicht braunes Haar und man sagt ‚Äh, ja, hab ich mir heute gefärbt’… 
Genau, man versucht sich eine Ausrede auszudenken. Beim ersten Mal klappt das meistens noch, aber danach schöpfen sie meistens Verdacht…

Hast du dich am Anfang denn nicht komisch dabei gefühlt?
Naja, erstmal hast du diesen Hihi-Effekt und dann kommt die Neugier: ‚Gucken wir mal‘ und du lässt deiner Fantasie freien Lauf. Nach einiger Zeit kommt dann aber schnell Routine rein – schließlich kommt es ja auch darauf an, dass die Leute möglichst lange aktiv bleiben.

Wie war die Bandbreite der Gespräche?
Von freundlich bis Fetisch war alles dabei. Wir haben ja nicht immer nur Sexchats betreut, sondern auch Kiddie-SMS-Chats, was man das von Viva und MTV so kennt, und manchmal auch Communitychats, um da anfangs, wenn noch nicht soviel los ist und die noch sehr klein sind, ein bisschen Leben vorzuspiegeln.

Wer nutzt denn überhaupt solche Kontakt-SMS-Dienste? Glauben die Leute wirklich, dass die Personen echt und nicht gefaked sind?
Das sind zu einem guten Teil schon Leute, bei denen man merkt, dass es gescheiterte Existenzen sind – und meistens nicht sehr gebildet, was man schon daran erkennt, dass einige Sätze nur in einer Art Lautschrift ankommen. Und, klar, merkt man nach der 100. SMS, wie verzweifelt der Kunde menschliche Nähe und Kontakt sucht, dass es ihm entweder egal ist, dass er nicht mit echten Leute spricht – oder es einfach wirklich glaubt.

Kommt es denn auch mal vor, dass man eine echte Unterhaltung führt?
Naja, gerade in Flirtchats wollen die Leute schon eine normale Unterhaltung – zumindest am Anfang. Und wenn man sich eh einen Charakter ausdenken muss, kann man dabei ja auch auf die eigenen Interessen zurück greifen.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert? Hattest du nie Skrupel, die Leute emotional auszunutzen?
Meine Freundin fand es nur lustig. Aber mir haben genug Freunde gesagt, dass sie das moralisch verwerflich finden. Aber das hat mich jetzt nicht gestört und ich hab ganz normal weitergemacht. Schließlich wollten die das ja auch. Und haben am Anfang auch eine Kostenwarnung bekommen. Die erste SMS ist immer eine Kostenwarnung, das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Aber irgendwann wollen sich die Kunden auch mit dir treffen, vor allem in den Flirtchats. Die Tatsache, dass man sich da um jeden Preis rausreden muss, ist im Grunde das schwierigste und auch moralisch fragwürdigste an der ganzen Sache. Man vertröstet die Leute, und dann vertröstet man sie noch einmal, und irgendwann springen sie dann ab. Aber in der Zwischenzeit ist es natürlich teilweise schon traurig mit anzusehen, vor allem wenn man merkt, dass sich der Kunde wirklich Hoffnungen gemacht hat.

Gab es eine Grenze, wo es dir zuviel wurde?
Bei manchen Fetisch-Chats hat man schon Gespräche, bei denen man denkt, ‚Junge, muss das jetzt sein?‘ Im Zweifelsfall übergibt man dann halt an einen Kollegen.

Kostprobe?
Ein Kerl stand auf zertrampelte Insekten, die von seinem Fuß gelutscht werden. Der hat auch immer gemeint, es wäre so nett, dass ich das auch mögen würde. Für normale Frauen wäre das ja nix. Und bei einem anderen war immer klar, dass er zwischen 9 und 12 auftauchen würde. Der stand auf Medizinbälle, die ihm in die Eier geworfen werden – die schönen großen mit noppigem Profil. Beliebt waren auch Verwandlungsfanatsien. Ein Typ hat immer von einer Kollegin verlangt, sie solle eine Hexe spielen, die ihn in eine hässliche Türkin verwandelt – als Strafe dafür, dass er ausländische Frauen als Sexobjekte behandelt. Und so musste er den Rest seines Lebens in einer Dönerbude arbeiten – zusammen mit dem haarigen Ladenbesitzer.

Eine Kollegin? Also gab es nicht nur Männer bei euch? 
Nein, wir hatten relativ viele Mädels dabei. Wenn ich drüber nachdenke sogar mehr als Jungs.

Wenn du fast immer von zuhause gearbeitet hast, hast du deine Kollegen überhaupt gekannt?
Klar. Man chattet ja nebenbei noch mit denen und verbringt etliche Stunden damit, sich die lustigsten Gespräche gegenseitig zuzuschicken.

Lohnt sich das ganze denn auch finanziell?
Schon. Man bekommt Geld pro SMS, die an den Kunden geschickt wird .Mit Wochenend- und Nachtzuschlag waren das so 10 bis 11 Euro die Stunde.  Aber da muss man schon schnell tippen können – und seine Sessions und Profile gut pflegen.

Warum hast du aufgehört?
Irgendwann ist es mir einfach langweilig geworden, der anfängliche Reiz hatte sich erledigt. Ich hab das ja zweieinhalb Jahre gemacht. Meistens von zuhause aus – das ist vollkommen okay als Nebenjob. Aber dann hat sich ein anderer Job ergeben, das hat mich dann mehr gereizt.

Würdest du die Arbeit trotzdem anderen Kommilitonen empfehlen?
Warum nicht – wenn ihnen die Kohle ausreicht und sie sich über die Moralität keine Sorgen machen. Und natürlich dürfen sie nicht zimperlich sein. Ein gutes Partygespräch hat man mit dem Job aber immer.

Erschienen auf: Unicum.de am 31.10.2012 als Teil der November-Titelgeschichte „Mythos-Uni-Sex“


Hinter den Kulissen

Studentische Sexmythen im Check. Was mir mein Chefredakteur vor einigen Monaten vorschlug, hörte sich spannend an, aber auch ein bisschen gewagt an. Erst einmal in die Klischeekiste greifen und dann schauen, was alles so dran ist am Gerede vom studentischer Sexarbeit oder dem Uniklo als Treffpunkt für die schnelle Nummer zwischen Vorlesungen.

An verlässliche Daten zu kommen, ist bei diesem Thema nicht ganz leicht. In Teilen geisterte eine Playboy-Studie zum Thema durch das Netz, aber die war schon von 2001. Und ein Streifzug durch die Klos diverser Unistädte brachte nur eine einzige Erkenntnis: Die Reinigungskräfte erledigen ihre Arbeit offenbar vorzüglich: Von gekritzelten Telefonnummern an den Wänden keine Spur.

Noch schwieriger war es, Protagonisten für die Geschichten zu finden. Gehört hatte man das ja schon mal, dass „ein Kommilitone des Freundes meiner Mitbewohnerin“ da jemanden kennt, der „sowas“ macht, aber wie sollte ich diese Leute kontaktieren?

Und nach vielen toten Enden (und kurz vor Deadline) hat sich dann doch noch ein Türchen aufgetan – und weil das daraus entstandene Gespräch einfach zu interessant war, als es nur als Hintergrundinfo zu nutzen, ist es jetzt hier und auf Unicum.denachzulesen.

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