Sechs Zeichentrick-Momente mit Trauma-Garantie

Die schlimmen Träume sind selten geworden. Aber manchmal holen sie mich doch wieder ein. Dann wache ich schweißgebadet auf und für einen Moment spüre ich seinen Atem in meinem Nacken: Ist der rote Stier noch hinter mir her?

Ich weiß nicht mehr, wie jung ich war, als ich „Das letzte Einhorn“ zum ersten Mal gesehen habe. Sicher ist – ich war zu jung. Denn so sehr meine Eltern auch darauf geachtet haben, alles Böse und Gefährliche von ihrem einzigen Sohn fernzuhalten – Zeichentrickfilme und Comics standen nicht auf ihrer Liste. Die waren per se harmloser Kinderkram – und während bei „Knight Rider“ und dem „A-Team“ ganz genau hingeschaut wurde und ich striktes Verbot erhielt, so bedenkliche Filme wie „Jurassic Park“ im Kino zu schauen, galt auf der gezeichneten Seite der Fiktion: Anything goes.

So real wie echte Menschen

Mir war das nur recht: Welcher kleine Knirps würde schon eingestehen, dass ihn ein Cartoon emotional überfordert? Mit völlig überzeichneter Gewalt wie sie z. B. in Tom und Jerry vorkommt, hatte ich keine Probleme. Aber manche Zeichentrickfilme setzten eben nicht auf schnelle Lacher, sondern erzählten eine ernsthafte Geschichte.

Weil gezeichnete Figuren für mich aber genauso real waren wie echte Menschen, litt ich mit, wenn ihnen schlimme Dinge widerfuhren, wenn sie krank wurden, auf der Flucht waren – oder gar starben. Und manche Momente verfolgten mich bis nachts in meine Träume…

6. Ravage aus  „Transformers“
Megatron, Starscream, selbst Devastator – Angst hatte ich vor den Decepticons eigentlich nie, auch wenn sie, vor allem in den Comics, überzeugende Bösewichter abgaben. Nur einer, der verfolgte mich bis in meine Träume: Ravage, ein Decepticon in Jaguargestalt, ein Jäger der Nacht, der mit seiner Umgebung verschmelzen konnte und ganz plötzlich aus dem Hinterhalt auftauchte, um seine Feinde zu zerreißen. Zum letzten Mal sah ich Ravage in den Comics, als er in einen Minenschacht stürzte und dabei angeblich deaktiviert wurde. Aber ich wusste ganz genau: Ravage ist noch am Leben – und geht irgendwo da draußen auf die Jagd. Seine Beute: natürlich ich.

5. Mondraggor aus „Pandamonium“
Heute kann ich darüber wirklich nur noch mit dem Kopf schütteln – aber Mondraggor, der „Meister des Bösen“, ein typischer, in eine pinke (!) Kutte gewandeter Bösewicht mit Schattengesicht und gelb leuchtenden Augen, hat mir als Kind wirklich angst gemacht. Lag es daran, dass er nach Belieben Menschen hypnotisieren und kontrollieren konnte? Vielleicht. Heute ist die Tatsache viel scarier, dass das Schicksal der Welt in den Händen dreier bekiffter Pandabären lag – und dass die sich, ganz Transformers-like, zu einem Super-Panda ( Poppapanda!!!) kombinieren konnten, dem wohl hässlichsten Superhelden ever, ever, ever.

4. Gandalfs „Tod“ in Ralph Bakshis „Der Herr der Ringe“
Lange vor Peter Jackson wagte sich Ralph Bakshi an den als unverfilmbar geltenden „Herr der Ringe“-Stoff – und schuf einen wirklich gelungenen und technisch anspruchsvollen Zeichentrickfilm. Meine allererste Begegnung mit J.R.R. Tolkiens Mittelerde geriet allerdings derart traumatisch, dass ich mich erst zu Abizeiten traute, die Buchvorlage zu lesen. Das fing schon mit den Orks an: glühend rote Augen und Gesichter, die seltsam menschlich und doch verzerrt anmuteten, auf jeden Fall Fremdkörper in einem Zeichentrick. Am schlimmsten aber war, dass ich jahrelang glaubte, Gandalf sei beim Kampf mit dem Balrog in den Tod gestürzt. Meine Uroma hatte den Fernseher nämlich kurz nach der entsprechenden Szene ausgestellt („Das ist noch nichts für dich!“) – und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Dass Gandalf den Sturz überlebt hatte, sollte ich erst Jahre später durch die Bücher erfahren

3. Tod der Eltern in „Alfred J. Kwak“
„Warum bin ich so fröhlich , so fröhlich, so fröhlich“ dudelte Herman van Veens Sangesstimme im Abspann dieses niederländischen Enten-Cartoons – und mir liefen die Tränen herunter. Ich hatte so etwas wie „Duck Tales“ erwartet – und gleich in der zweiten Folge werden Eltern und sämtliche Geschwister der kleinen Ente Alfred bei einem Autounfall zu Klump gefahren. Wir sehen noch, wie der Lichtkegel der Scheinwerfer die zum Tode geweihte Familie erfasst, dann ein Knall und der Bildschirm färbt sich rot. Dass sich Kra, Alfreds Gegenspieler aus Kinderzeiten, im Verlauf der Serie auch noch zu einem zweiten Adolf Hitler mausern sollte, machte die Serie dann auch nicht fröhlicher.

2. Der rote Stier aus „Das letzte Einhorn“
Am Anfang hören wir nur von ihm: Der rote Stier, so flüstert es ein Schmetterling dem letzten Einhorn, soll alle seine Artgenossen vertrieben haben. Doch nichts konnte mich auf den Moment vorbereiten, als der Stier zum ersten Mal wirklich auftauchte. Aus einer wabernden, rote Rauchwolke blitzte eine Fratze auf, die ich bis heute nicht vergessen habe: weiße, tote Augen, riesige, geschwungene Hörner, wutschnaubende Nüstern. Eine Naturgewalt direkt aus der Hölle. Der rote Stier, da war ich mir ganz sicher, konnte nicht nur das Einhorn, sondern auch mich durch den Fernseher hindurch sehen. Und wenn er das letzte Einhorn erlegt hatte, würde mich jagen.

1. Einfach alles in „Watership Down – Unten am Fluss“
Der rote Stier ist heftig, doch nichts toppt „Watership Down“, mein absolutes Kindheits-Horror-Trauma. Ich wollte einen Zeichentrick mit süßen Kaninchen sehen und bekam den Hasen-Holocaust: Diese Kaninchen kratzten sich gegenseitig die Augen aus, bissen sich tot, wurden von Hunden zerfleischt, überall spritzte Blut, Eingeweide hingen aus toten Körpern. Doch am verstörendsten war die Szene, in der sich die apokalyptische Vision des jungen Hasen Fiver bewahrheitet: Die Hasen in Fivers Bau werden von Menschen vergast und verenden qualvoll, während sie versuchen, aus ihren Tunneln ins Freie zu flüchten ersticken. Dass dieser Film damals eine FSK6-Freigabe erhielt- unglaublich!


Getextet ursprünglich 2014 für meinen stern.de-Comic-Blog „Vom Leben gezeichnet“ (Archiv). Aufmacher: watershipdownfandom.com

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