Würde Gott grün wählen?

Grün gilt im Christentum als Farbe der Auferstehung. Doch lange sahen die christlichen Kirchen eher Rot, wenn es um die Partei gleichen Namens ging.

Als „unwählbar“ für katholische Wähler beschimpfte Kardinal Joseph Höffner, damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die Grünen 1987. Und noch 20 Jahre später kam es zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch zwischen dem Augsburger Bischof Walter Mixa und der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth: Roth hatte Mixa wegen seiner Äußerungen zur Familienpolitik als „durchgeknallten, spalterischen Oberfundi“ beschimpft. Der Öffentlichkeitsreferent des Bistums schlug zurück, indem er den Geist der Aussage mit Nazi-Propaganda verglich. Und heute?

2011 bezeichnete der Papst die Ökologiebewegung im Bundestag als „Schrei nach frischer Luft, die man nicht überhören darf“. Ganz selbstverständlich rufen führende Grünen-Politiker wie Volker Beck und Cem Özdemir zur „Bewahrung der Schöpfung“ auf – und nehmen damit einen urchristlichen Begriff in den Mund. In Baden-Württemberg stellt die Partei mit Winfried Kretschmann einen Ministerpräsidenten, der gleichzeitig praktizierender Christ und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist. Und mit Karin Göring-Eckhard krönten die Grünen per Urwahl gleich die Präsidentin der Evangelischen Kirche in Deutschland zu ihrer Spitzenkandidatin bei den kommenden Bundestagswahlen.

Kritische Beäugung

„Christen bei den Grünen – das ist heute so selbstverständlich wie Grüne bei den Christen“, bilanzierte 2011 Johannes Remmel, grüner Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, in einem Gastbeitrag für das Magazin „Christ und Welt“. Ein Blick auf die nackten Zahlen bestätigt diese Beobachtung: 22 Prozent der Parteimitglieder waren laut einer bpb-Studie von 2009 katholisch, 35 Prozent evangelisch. Mit einem Anteil von 41 Prozent lagen die konfessionslosen Mitglieder allerdings über dem Bundesmittel und dem Durchschnitt aller Parteimitglieder.

Wird heute über das Verhältnis von Christentum und Grünen geredet, fällt oft das Stichwort von einer „Verbürgerlichung der Grünen“, einer Besinnung auf traditionelle Werte bei der einstigen „Anti-Parteien-Partei“. Dort interpretiert man die Annäherung eher als eine Öffnung der Kirchen „für die gesellschaftliche Wirklichkeit“. Doch so neu wie die Entwicklung auch erscheinen mag, sie ist es nicht. „Im Kern lagen Grüne und Kirchen nie so weit auseinander, wie es zu Beginn der grünen Bewegung vor mehr als 30 Jahren den Anschein hatte“, schlussfolgerte der HAZ-Journalist Hendrik Brandt im November 2012. Uwe Kranenpohl, Professor für Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, bestätigt diese Beobachtung: „Es war nie so, dass die Partei insgesamt antiklerikal war.“

Tatsächlich gab es bereits 1984 genügend bekennende Christen unter den Grünen, um sich zu einer eigenen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) zusammen zu finden. Deren erklärtes Ziel: „als überkonfessionelle, bundesweit agierende Gruppe kritischer ChristInnen das christliche Potential innerhalb der grünen Partei heraus zu stellen.“ Freilich befand man sich damals noch in klarer Unterzahl: Bei den Grünen regte sich – gerade in ihrer Gründungsphase – eher Misstrauen denn Zustimmung, wenn sich ein Parteimitglied als bekennender Christ outete. Das Christentum war als rundweg rückwärtsgewandt verschrieen – zudem hatte man sich des konservativen Flügels unter den Umweltschützern und Naturliebhabern gerade erst entledigt.

Christlich ohne C im Namen?

Friedrich Battenberg, seit 1997 an der Spitze der BAG ChristInnen, erinnert sich: „Am Anfang gab es eine gewisse Reserve innerhalb der grünen Partei, man war gegenüber der BAG kritisch eingestellt.“ Trotzdem wollte der studierte Jurist und Historiker mit den Grünen und nicht etwa mit der CDU christliche Politik gestalten: „Die CDU ist stärker hierarchisch strukturiert, Vorgaben kommen von der Spitze her, das macht innerparteiliche Diskussionen sehr viel schwieriger.“

Doch auch bei den Kirchen sah man das Treiben ihrer grünen Schäfchen zunächst skeptisch: „Von den Kirchen wurden wir damals sehr misstrauisch betrachtet“, blickte Sybille Mattfeldt-Kloth, Co-Sprecherin der BAG, im Jahr 2009 zurück, „Das ist heute nicht mehr so.“ Tatsächlich galten die ersten grünen Christen vielen konservativen Kräften als ‚Revoluzzer in den eigenen Reihen‘ – weil sie sich kritisch mit der Lehre ihrer Amtskirchen auseinander setzten. Unter den Katholiken waren es vor allem Vertreter der linken Strömungen wie Winfried Kretschmann und Christa Nickels, die Friedensbewegung Pax Christi und die Befreiungstheologen, die früh mit der jungen Partei liebäugelten und die Schnittmengen betonten, die sich insbesondere auf den Themenfeldern Friedenspolitik und Umweltschutz ergaben.

„Es fällt nicht schwer, aus dem Parteiprogramm der Grünen die Gemeinsamkeiten zum christlichen Menschenbild herauszulesen“, sagt Uwe Kranenpohl. Auf einen markigen Nenner brachte es Ulrike Gote, kirchenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen in Bayern: „Wir haben das C zwar nicht im Namen, aber wir haben es im Programm“, erklärte sie im Mai 2010 der Süddeutschen Zeitung, „Wer sich mit unseren Inhalten beschäftigt, der wird eine große Übereinstimmung mit Themen wie Bewahrung der Schöpfung, der Natur oder der Würde des Menschen finden.“ Kranenpohl kann diese Einschätzung nur bestätigen: „Manche Positionen bei den Grünen oder der ÖDP sind so christlich, die stellen sogar die CSU in den Schatten.“

Beispiel Präimplantationsdiagnostik (PID): „Zum Thema Embryonenschutz hat die katholische Kirche keinen besseren Verbündeten als die Grünen“, ist sich der Politikwissenschaftler sicher. 80 Prozent der Grünen-Fraktion hatte 2011 eine Aufweichung der bis dato geltenden Regelung abgelehnt, ein Viertel gar für ein gänzliches Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen plädiert – während die CDU und CSU sich auf ein „Sowohl-als-auch“ zurückzogen und eine ganze Reihe von Abgeordneten Positionen eingenommen hätten, die noch forschungsfreundlicher waren. Es sei längst nicht mehr so, dass die C-Parteien „den katholischen Rasen einfach abgrasen können“, konstatiert Kranenpohl. „Nahles als ‚klassisches katholisches Mädchen vom Lande‘ ist nicht bei der CDU, sondern bei der SPD gelandet.“ Im Gegensatz zu ihr, Wolfgang Thierse oder Winfried Kretschmann wisse die Öffentlichkeit bei vielen CDU-Politikern gar nicht mehr, ob sie nun katholisch, protestantisch oder etwas anderes seien. Hinzu komme, dass die christlichen Milieus in Deutschland insgesamt dramatisch schrumpfen – was es für große Parteien immer unattraktiver mache, um diese Klientel zu buhlen. „Würde mich eine Partei strategisch fragen, ob es sich lohnt, Politik für ‚Hardcore-Katholiken‘ zu machen, würde ich ’nein‘ sagen!“ so Kranenpohl.

Beziehungsstatus: It’s complicated

Dennoch gilt weiterhin: Bei Katholiken mit starker Kirchenbindung bleiben die Grünen unterrepräsentiert. Und auch Friedrich Battenberg, selbst evangelisch, würde nicht davon sprechen, dass „der Einfluss der Christen“ in der Partei merklich gestiegen sei. Geändert habe sich allerdings eins: der gegenseitige Umgang von kirchennahen und kirchenfernen Parteimitgliedern. „Es wird offener diskutiert als zu Zeiten, als man noch um jede Wählerstimme bangen musste – auch auf die Gefahr hin, man könnte jemanden verprellen.“ So stellte sich die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Bündnisgrüne ChristInnen im „Pro Reli“-Streit gegen die Mehrheitsmeinung ihrer Partei und trat für konfessionellen Religionsunterricht ein. Gleichzeitig sei es laut Battenberg aber selbst in einem „völlig agnostischen“ Landesverband wie Berlin kein Problem mehr, dass die Vorsitzende gleichzeitig bekennende Katholikin und Mitglied im Pfarrgemeinderat ist.

Also alles eitel Sonnenschein? Angesichts des Papstbesuchs in Deutschland befand NRWs grüner Umweltminister Remmel, dass der Pontifex „noch längst kein Grüner“ sei. Zwischen seiner Partei und der katholischen Kirche liege noch immer „mehr Trennendes als Verbindendes“, stellte er in der „Christ und Welt“ fest und führte aus: „Auch Demokratie, (Geschlechter-)Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden sind elementare grüne Grundwerte, die noch immer vor den verschlossenen Türen des Vatikans stehen und um Einlass bitten.“

„Wo es derzeit wirklich knallt, ist der ‚Dritte Weg‘ im Arbeitsrecht“, weiß Kranenpohl. Hier liegen die grünen Christen mit ihren Amtskirchen über Kreuz, da sie eine Abschaffung der Sonderregelung in kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen fordern. Für alle Mitarbeiter, die nicht direkt im Bereich der Verkündigung arbeiten, sollen die allgemeinen Arbeits-, Sozial- und Tarifverträge inklusive Streikrecht gelten. „Als wir mit den Positionen an die Öffentlichkeit gegangen sind, gab es sofort pikierte Anrufe – von der katholischen und der evangelischen Kirche“, erinnert sich Battenberg.

Mehr Trennendes als Gemeinsames

Das generelle Verhältnis zwischen Kirche und Staat bleibt auch im 21. Jahrhundert größtes Streitthema zwischen Grünen und christlichen Kirchen, aber auch unter den grünen Christen selbst: Darf der Bischof sein Gehalt vom Staat beziehen? Braucht die Kirche ein Mitspracherecht bei der Besetzung universitärer Lehrstühle? Nicht zu vergessen der Dauerbrenner Kirchensteuer: „Selbst Christen unter den Grünen sind der Meinung, dass man durchaus positiv das Christentum vertreten und gleichzeitig einer Zwangsabgabe kritisch gegenüber stehen kann“, sagt Kranenpohl. Als 2010 der grüne Landtagsfraktionschef Sepp Dürr den Staatsvertrag zwischen Bayern und Vatikan kritisierte, polterte der damalige CSU-Ministerpräsident los, sprach von einem „frontalen Angriff auf die christliche Leitkultur und gläubige Christen“ und beschuldigte die Grünen „multikultureller Beliebigkeit“. Battenberg sieht es anders: „Die Frage, ob es sich der Staat hier nicht zu einfach macht, muss erlaubt sein.“

Das Verhältnis von Christen und Grünen, es bleibt kompliziert. Gerade, wenn es um Grundsatzfragen geht, wird wohl auch in Zukunft der einen oder anderen Seite ein böses, mitunter beleidigendes Wort entfahren. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass beide Gruppen dort, wo gemeinsame Schnittmengen liegen, weiter und enger zusammen arbeiten werden.

Dieser Artikel erschien leicht gekürzt am 25. März 2013 auf katholisch.de.

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