Schloss Lilllliput: Echte Häuser haben Kurven

„Was Hundertwasser konnte, kann ich schon lange – und besser!“ Dachte sich Steffen Modrach und legte los: Seit sieben Jahren baut er täglich an seinem Schloss Lilllliput, einem farbenprächtiges Paradies für Mensch und Tier.

„Der hat doch nicht alle Tassen im Schrank!“ Das haben sie zu Steffen Modrach gesagt, als er mit seinem waghalsigen Plan loslegte. Aus einer verfallenen Hütte im brandenburgischen Dörfchen Naundorf wollte er ein Schloss errichten, das die Welt noch nicht gesehen hat. Acht Jahre später bleibt von der Skepsis nur noch Staunen übrig.

Reportage vom Schloss-Lillllipit von Hundertwasser-Verehrer Steffen Modrach

Wer sich Modrachs Haus nähert, dem fällt schon von weitem eine Krone in den Blick, die sich golden über die Dächer des winzigen Dorfes erhebt. Aus ihren Zacken wachsen bunte Narrengestalten, die sich gegenseitig an den Händen halten. Doch nichts bereitet auf den Moment vor, wenn man tatsächlich vor Schloss Lilllliput steht, vor dieser Explosion von Farben, Rundungen und Ideen, und Schlossherr Steffen Modrach, der selbst ernannte König Viktor I. von Naundorf, einem spitzbübisch grinsend die Hand schüttelt.

Viele schöne Worte beginnen mit einem L. Die vier L in Lilllliput stehen für Liebe, Lust, Laune und Leidenschaft.

Ein fester Händedruck ist es, der Händedruck eines Mannes, der zupacken kann. Und der Händedruck eines Mannes, der unglaublich stolz darauf ist, einen Lebenstraum umzusetzen, der seit der Kindheit in seinem Kopf herum spukt. Aufgewachsen zwischen klobiger, grauer, lebloser DDR-Architektur wollte der heute 55-Jährige ein Haus bauen, das alles anders macht: bunt, rund und lebendig sollte es sein, eine „echte Arche für Mensch und Tier“.

In der DDR brachten ihn solche verrückten Ideen – und davon hatte Modrach viele – erst einmal in die geschlossene Psychiatrie. Ein Ausbruchsversuch – erst aus der Anstalt, dann aus dem Arbeiter- und Bauernstaat – endete vor dem Lauf einer Kalaschnikow. Es folgten turbulente Jahre im DDR-Gefängnis, als Schreiber für Tageszeitungen, als Kranfahrer, Hausmeister und Pfleger, nach der Wende als Pilot in Australien, als Zauberkünstler, desweiteren arbeitete Modrach in einem Pharmakonzern und schrieb als freischaffender Autor Bücher aller Art. Aber der Traum vom eigenen Schloss blieb.

Als Kind habe ich mich immer gefragt: Warum sehen die Häuser so scheiße aus? Warum sind die alle so grau und viereckig, und nicht rund und bunt?

Brüder im Geiste fand er in Gaudí und Hundertwasser, die in Worte fassten, was er schon immer gespürt hatte. Modrach las alles über die beiden architektonischen Vordenker, mietete sich sogar für zwei Jahre in die Grüne Zitadelle in Magdeburg ein, das letzte Projekt, an dem Hundertwasser bis zu seinem Tod arbeitete. Und stellte fest: „Hundertwasser konnte seine Visionen nicht verwirklichen.“ Einerseits weil seine Auftraggeber so manche Idee für zu verrückt hielten. Andererseits, ist sich Modrach sicher, habe Hundertwasser die eigenen Theorien nicht bis in die letzte Konsequenz umgesetzt. Mit seinem Haus wollte er es anders machen.

Kompromisse musste Modrach keine eingehen. Seine Frau finanziert ihm seinen Lebenstraum, ist zugleich seine Mäzenin. Was aber nicht bedeutet, dass sich ihr Mann ausruht. Nach dem gemeinsamen Frühstück beginnt die tägliche Arbeit an Haus und Grundstück. Die Basis aller Strukturen bilden faustgroße Betonkugeln, die er aus Zement formt und zu Türmen, Torbögen und Mauern übereinander stapelt. An guten Tagen verarbeitet Modrach drei Sack zu 150 Kugeln.

Die Kugelform ist ihm besonders wichtig: In den Fugen, Ritzen und Hohlräumen, die bei dieser Bauweise unweigerlich entstehen, sollen Insekten und Vögel Unterschlupf finden. In einem zweiten Schritt werden die Betonkugeln beklebt – immer und immer wieder, so dass Schloss Lilllliput an keinem Tag gleich aussieht.

Würde meine Frau mir weglaufen, würde ich mit Müll, leeren Sektflaschen und Schotter weiterbauen. Ein Sack Zement kostet ja nur 2,50 Euro, das geht auch mit Hartz IV.

Die erste Schicht ist schon wieder komplett überklebt. Sie besteht aus einer Geheimschrift: Jedem der 28 Buchstaben des Alphabets hat Modrach eine Farbe zugewiesen und sein Haus mit bunten Quadraten beschriftet. Wer Modrachs Manifest in der Zukunft lesen will, muss also etwas Gehirnschmalz – und ein Röntgengerät – mitbringen.

Die weiteren Schichten – vier sollen es einmal werden – entstehen aus dem, was gerade zur Hand ist: Teller, Tassen, Knöpfe, Fingerhüte, DDR-Lego, bemalte, in Zement getränkte Styroporreste, Messer, Gabeln, Kiesel, Mosaiksteine, Ringe, Schotter, Tonscherben, Zuckerdosen, Meißner Porzellan, Mosaiksteine, Gläser, Schuhe, Blumenvasen, Keramikfiguren, alte Sicherungen, Plüschtiere, Christbaumkugeln, Biergläser, Untertassen, Kokosnussschalen, Kelche, Schubbladen, Vogelhäuschen, Schmuck, Würfel, Kronenkorken, Pailettenknöpfe, Ringe, glitzernde Dekosteine, Knochen, …

Selbst ein verrostetes MP-Magazin aus dem Zweiten Weltkrieg, das Modrach auf einem Spaziergang in der Umgebung gefunden hat, hat einen Platz in der Fassade gefunden. Das einzige, was Modrach nicht in seinem Haus verbaut, ist Fleisch. Weil es verwest. „Klar ist das alles Kitsch“, gibt sich Modrach keinen Illusionen hin. Aber das bunte Durcheinander hat System und steht für eine durchaus ernst gemeinte Botschaft: „Die Schöpfung ist vielfältig, und alles hat seinen Wert darin: Große, Kleine, Dicke, Dünne, Dumme, Schlaue.“

Dabei ist Modrachs Kunst teurer als man denkt. Denn obwohl er immer wieder dazu aufruft, ihm allen möglichen Krimskrams zu bringen, kommen bislang nur wenige dem Aufruf nach. Insbesondere die daumennagelgroßen Mosaikquadrate gehen ins Geld. 40 Cent pro Stück klingt nicht viel, aber wer durch das große Areal schreitet, an der Schlossmauer vorbei, die gewundenen, labyrinthartigen Gänge im Garten entlang, der kann sich vorstellen, wie viel Investition in diesem Fleisch gewordenen Traum steckt. An manchen Stellen klebt sogar echtes Geld an der Fassade. „Ich dachte mir, wenn ich einfach 20-Cent-Stücke verarbeite, kommt mich das gleich um die Hälfte billiger“, erklärt Modrach und lacht. Das habe ihm seine Frau dann aber verboten. Weil es „zu dekadent“ wirken würde.

In dem Moment, wenn ich mit meinem Gesicht endgültig auf die Erde knalle, ist Schloss Lilllliput fertig!

Einmal am Tag führt König Viktor I. Interessierte durch sein Reich. Seine Führungen haben mit den üblichen Kunstführungen allerdings nur wenig zu tun: „Meine Grundbedingung: Jeder muss mindestens 10x lachen!“ Eine alte Museumsregel gilt allerdings auch hier: Anfassen ist strengstens verboten. Schließlich ist Schloss Lilllliput ein work-in-progress, das nach Modrachs Plänen erst in 18 Jahren vollendet sein wird. Und wer sich allzu lässig an eine Mauer lehnt, könnte diese mit seinem Körpergewicht zum Einsturz bringen, weil der Bogen, der sie einmal stabilisieren soll, erst in ein paar Jahren dazukommen wird.

Hinzu kommt, dass sich Modrach, was die Statik seiner Konstruktionen angeht, eher auf seine Intuition und das Prinzip von Try-and-Error verlässt. Anders gesagt: „Das Gebäude redet mit mir und ich kann darauf eingehen, was es will!“ Ein Beispiel: Baut Modrach eine Decke, klebt er in die Ecken leicht zerbrechliche Weihnachtskugeln. An den Stellen, an denen sich die Decke langsam absenkt, zeigen sich durch den Druck Risse auf den Kugeln. So weiß er, wo er nachbessern und stabilisieren muss.

Dass sich diese Verfahrensweise nicht mit dem deutschen Baurecht deckt, ist Modrach bewusst. Aber er weiß auch: Für Kunstwerke gelten Ausnahmeregelungen. Dass Schloss Lilllliput längst ein Kunstwerk ist, haben mittlerweile auch die lokalen Politiker und Nachbarn erkannt. Und allen anderen, die immer noch glauben, Modrach hätte nicht alle Tassen im Schrank, zeigt er gerne einen besonderen Platz in seiner Schlossmauer. Rechter Hand vom Eingangstor hat er einen offenen Schrank installiert. Und der ist komplett gefüllt – mit Tassen.

Schloss Lilllliput lässt sich gegen eine Spende von 5 Euro pro Person mit Führung besichtigen. Pro Tag ist eine Gruppe zugelassen, die aus mindestens acht Personen bestehen sollte. Anmeldungen hier.

Dieser Artikel ist – ordentlich abgewandelt – auf dem Macher-Blog von Hornbach erschienen.

Daraus ist Schloss Lilllliput gebaut

Knochen, Knöpfe, Keramikfliesen und sogar Kaffeekannen – nicht alles, was Steffen Modrach in seinem Schloss Lilllliput verbaut hat, kann er auf das Stück genau zählen, dafür ist es zuviel. Das meiste organisiert er selbst – ist aber immer auch dankbar über Materialspenden. Im Schloss Lilllliput verbaut wurden bislang unter anderen:

2 Millionen Mosaikquadrate:
Für 0,40€ pro Stück kein günstiges Baumittel

4500 Sack Zement:
Daraus entstanden u.a. 500.000 Betonkugeln

400 Kaffeekannen:
Ein perfekter Brutplatz für Zaunkönige und Bachstelzen

1000 Teller:
Ein 220-DM-teures Stück Meißner Porzellan hat er hinter dem Klo verbaut

1000 Tassen:
Tassen und Vasen werden stets komplett verbaut

Hunderte Uhren:
Braucht Modrach eigentlich nicht. Pünktlich um drei Uhr steht er jeden Morgen auf und schreibt bis zum Frühstück an seinen Büchern

Hunderte Knöpfe:
Viele stammen vom Flohmarkt oder wurden ihm gespendet. Besondere Knöpfe kauft sich Modrach aber auch selbst

Hunderte Knochen:
Fleisch ist tabu, über Knochen freut sich Modrach umso mehr. Weil sie Geschichten erzählen, „Leben getragen“ haben

Hunderte Vasen:
Die Öffnungen werden stets offen gelassen, so dass sich Vögel und Insekten einnisten können

Hunderte Figürchen:
Von Engeln bis Karl Marx ist alles dabei – „auch eine Menge Kitsch!“

Hunderte Perlen:
Sorgen dafür, dass das Schloss Lilllliput bei Sonnenschein besonders glitzert und funkelt

Hunderte Keramikfliesen:
Fliesen werden von Modrach zerstoßen und in Stücken wieder neu an die Wand gesetzt, z. B. im WC „Zum Klugscheißer“

Zuckerdosen aus Porzellan:
Ein Pianist hat ihm diese Zuckerdosen kommentarlos per Paket geschickt. Mittlerweile sind alle verarbeitet

100.000 Nüsse:
Sind bzw. werden noch an den Schlafzimmerwänden als Lärmdämmung und Dekomaterial verbaut. Jede einzelne soll vergoldet werden

12 Türme geplant:
Viele Türme haben keinen Eingang für Menschen, nur offene Fensterschlitze, so dass sich Fledermäuse darin wohlfühlen

7000 Quadratmeter:
umfasst das Grundstück von Schloss Lilllliput, Teich und ein angrenzender Park inklusive

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