Das große UNICUM-Geistesgrößen-Bashing

Da hocken sie, hoch auf ihren Sockeln, und blinzeln verächtlich auf das Gewürm, das sich in ihrem Schatten breit gemacht hat. Ja, er ist lang, der Schatten der ganz großen Geister der Wissenschaft. Zeit für eine Abrechnung.

☠ Dieser verdammte… Johann Wolfgang von Goethe! ☠

Amelie Hauptstock (30), Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

„Eigentlich, Herr Goethe, habe ich ja nichts gegen sie. Wirklich nicht. Sie waren ein schlauer Mann. Und für mein Empfinden haben sie das mit der Selbstvermarktung wirklich gut gemacht. Nein, sie können ja eigentlich gar nichts dafür, dass ich als Germanistin immer wieder gezwungen werde, mich zu rechtfertigen, warum ich sie nicht mag. Wo sie doch so eine schöne Sprache verwendeten.

Heute verkommt doch alles zwischen cool und geil und weil das ist halt so und … herrgottverdammt! Das nennt man Sprachwandel und angewandte Sprache! Und Goethe war Hesse! Deshalb reimt sich der Faust nur, wenn man Hessisch spricht!

Und überhaupt, was soll der Schmarrn mit dem ganzen Geniekult? Heute würde man für diesen Checkerstyle mal derbe gedisst werden. Oder bekäme einen Shitstorm auf der Facebook-Wall. Jaja, deine Mutter! So schaut’s aus, Herr Genie! Warum ich sie nicht leiden kann? Weil ihre intellektuelle Geniekacke so weltfremd ist, dass sie Dichter zu Denkern und nicht zu Lebenden macht! Darum! Bah! So!“

☠ Dieser verdammte… Erwin Schrödinger! ☠

Dr. Julia Offe (40), Biologiestudium an den Unis Tübingen und Freiburg, Promotion am Zentrum für Molekulare Neurobiologie, Hamburg

„Selten hat mein Hirn so gearbeitet wie bei dem Versuch, am Anfang des ersten Semesters die Schrödinger-Gleichung zu verstehen – leider hatte der Prof versäumt zu erwähnen, dass die nur eine Handvoll Leute auf der Welt kapiert. Überkomplex, dieser Quantenkram.

Und wozu überhaupt? Hat keinerlei praktischen Nutzen, aber Esoteriker haben sich draufgestürzt und nerven seitdem mit ihrem Geschwurbel von Quantenheilung. Ach ja, und dann die berühmte Katze. Gleichzeitig tot und lebendig. Alles klar. Herr Schrödinger, geht’s noch?“

☠ Dieser verdammte… Olivier Blanchard! ☠

Chris Karl (23), BWL an der Uni Hamburg

„Sehr geehrter Herr Blanchard, Ihr exzellentes Buch ‚Macroeconomics‘ – weltweit Standardlektüre für das Modul Makroökonomie – musste natürlich auch von mir und meinen Kommilitonen gelesen werden.

Und was soll ich sagen? Nicht dass ich in Mikroökonomie schon genug mit Formeln umstellen und Indifferenzkurven zeichnen gequält wurde, so steigerte sich dies hier noch einmal ins Unermessliche. IS-lM-Kurven berechnen, AS-AD-Modelle beschreiben und die Phillips-Kurve herleiten – alles gelernt, doch was bringt mir das Ganze?!

Genau. Nichts. Mich würde es mal interessieren, wie oft in Vorstandsetagen wirklich Phillips-Kurven hergeleitet oder LM-Kurven verschoben werden. Kleiner Tipp für Ihr nächstes Werk: Ein bisschen mehr Praxisbezug und weniger weltfremdes Formelnumstellen wäre angebracht – obwohl, wenn ich mich durch dieses Fach quälen musste, wieso sollten es die Studenten nach mir leichter haben …“

☠ Dieser verdammte… Indiana Jones ☠

Julia Köppe (25), Archäologie an der Uni Hamburg

„Danke, Dr. Henry Walton Jones, Jr.! Wegen dir glaubt alle Welt, dass ich als Archäologie-Studentin des Öfteren mit einer Peitsche und einem Filzhut durch die Gegend renne und versuche, verloren geglaubte Schätze wieder aufzutreiben, bevor sie meinen höchst gefährlichen Widersachern in die Hände fallen. Durch aberwitzigen Mut und Schläue gelingt es mir, mich aus den noch so misslichen Situationen herauszuwinden, um am Ende als strahlende Siegerin hervorzugehen.

Die traurige Wahrheit: Ich sitze die meiste Zeit in der Bibliothek und brüte über Büchern und uralten Fundlisten; eine Peitsche bräuchte ich da allenfalls zum Umblättern und eine Ausgrabung ist keine Schatzsuche, sondern ein systematisches Im-Dreck-Wühlen. Wir Archäologen sind keine Abenteurer, sondern Wissenschaftler – welch eine Desillusion!“

☠ Dieser verdammte… Adolf Hitler! ☠

Stefan Querl, Historiker, Dozent an der Universität Münster und Mitarbeiter am „Geschichtsort Villa ten Hompel“

„Mein Kampf. Gegen Hitler. Tag für Tag führe ich ihn in der Erinnerungsstätte Villa ten Hompel in Münster, in der ich arbeite. Eine Ungeistgröße ist er nämlich, der hässliche Gefreite aus dem Ersten Weltkrieg, der fast Schicklgruber geheißen hätte. Ein ekelhaft Untoter. Das Gift seiner lebenden Leiche hat sich tief in unsere Gesellschaft gefressen, indem er bis heute eine Faszination ausübt, die zutiefst fragwürdig ist.War er Dämon? War er heimlich schwul oder mit Juden verwandt?

Schluss damit! Mein geschichtliches Gesprächsguthaben zu solch bekloppten Fragen und zu Verschwörungstheorien ist aufgebraucht. Hitler, halt’s Maul! Anders als bei der Arbeit drohe ich hier unsachlich zu werden, denn er und seine Mythen scheinen irgendwie nie zu sterben.

Es wäre ein Endsieg für Toleranz und mehr Demokratie, sich nicht mehr so intensiv ihm zu widmen, sondern wirklich alle Opfer und die verschiedenen Verfolgten in der Nazi-Diktatur angemessen zu würdigen.“

Foto: © Gloria Bennin

☠ Dieser verdammte… Friedrich Wilhelm Nietzsche! ☠

Srikanth Chander, 34, General Management / BWL an der Universität St. Gallen

Mon cher professeur,

im Nachhinein wollten Sie Ihr magnum opus auf Französisch geschrieben haben, nicht wahr? Wieso aber? Von den Frauen, denen Sie einen Heiratsantrag gemacht haben, war keine aus der Grande Nation. Und Sie waren stolz, preußischer Grenadier zu sein, eine Zeit lang sogar Wagnerianer.

Woher diese außergewöhnliche Begeisterung für das Französische, dass Sie Zarathustra gerne in der Sprache der Liebe hätten sprechen lassen? Es war nicht des Kriegers Napoleon wegen, und nicht des mutigen Historikers Renan wegen, sondern vielleicht wegen einer Frau aus einer Zigarettenfabrik. Dieser einen Frau aus Sevilla und ihrer großen, verführerischen Welt. Einer Welt der Liebhaber und vernichtender Leidenschaft. Diese Welt hat ein Franzose für Sie geschaffen. „So stark, so leidenschaftlich, so anmutig und so südlich…“, wie Sie Ihrer Mutter und Schwester anvertrauten.

Ist der Ikonoklast par excellence ein allzu gewöhnlicher Romantiker, ein Verehrer des Weibes Carmen? Wer sonst kann so schön schreiben und in der Liebe so unglücklich sein? Im Übermorgen werden Sie wohl auch diesen Vorwurf widerlegen können. Ich selber mag Paris sehr, und auch wenn wir uns auf der Champs-Élysées nicht mehr werden sehen können, so denke ich an Elysium.

Herzlich,
Srikanth Chander

Dieser Artikel ist um Hitler und Nietzsche gekürzt in der UNICUM Ausgabe 10/2013 erschienen. Hier einen Teil im Originallayout lesen.

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