Komm, Papa, wir kaufen deinen Sarg!

Normalerweise wird Torben jeden Morgen von einem sanften Kitzeln geweckt. Herr Heidenreich fliegt aus seinem Käfig zu Torbens Bett, tapst über Torbens Gesicht und reibt seinen krummen Schnabel an Torbens Nase.

Aber heute kitzelt niemand. Auch Wellensittiche verschlafen mal, denkt sich Torben. Dann werde ich ihn wecken.

Tatsächlich. Herr Heidenreich schläft noch. Ganz still liegt er auf dem Boden seines Käfigs. Vorsichtig hebt Torben seinen Freund hoch. Aber so sehr er auch mit ihm näselt, Herr Heidenreich will einfach nicht aufwachen.

Und noch etwas ist komisch: Herr Heidenreich ist ganz kalt. Papa weiß sicher Rat, denkt Torben und rennt ins Schlafzimmer nebenan.

Torbens Papa ist selbst noch ganz verschlafen. Aber als er Herrn Heidenreich bewegungslos in Torbens Händen sieht, wird sein Gesicht plötzlich ganz ernst. Torben, sagt Papa. Herr Heidenreich schläft nicht. Er ist tot.

Tot sein ist wie Schlafen, sagt Papa. Nur, dass man nie wieder aufwacht. Torben findet das komisch: Irgendwann ist man doch nicht mehr müde. Und dann wacht man von ganz alleine auf.

Wer tot ist, macht eine lange Reise, sagt Papa. Eine Reise, von der er nicht wieder zurückkommt. Aber Papa, sagt Torben, Herr Heidenreich ist doch noch hier. 

Ja, sagt Papa, aber nur sein Körper. Die Seele von Herrn Heidenreich ist jetzt woanders. Wo denn? fragt Torben. Ich weiß es nicht, sagt sein Vater. Niemand weiß das.

Torben ist verwirrt. Sein Papa weiß normalerweise alles. Und plötzlich laufen Tränen über Torbens Gesicht. Papa nimmt ihn fest in seine Arme.

Abschied ist wichtig, sagt Papa und klingt sehr entschlossen. Komm, Torben, wir gehen in die Garage und bauen einen Sarg für Herrn Heidenreich.

Torben schaut seinen Papa fragend an. Ein Sarg, erklärt Papa, ist ein Bett für Tote. Und Herr Heidenreich soll den schönsten Sarg von allen bekommen.

Normalerweise ist es strikt verboten, in die Garage zu gehen. Überall stehen alte Holzbretter und scharfe Werkzeuge herum, an denen Torben sich verletzen könnte. Aber heute ist alles anders.

Zum ersten Mal darf Torben nicht nur zugucken. Papa drückt ihm eine echte Säge in die Hand! Dann legt er seine großen Finger um Torbens kleine Faust. Ritsch-ratsch. Ritsch-ratsch. Gemeinsam sägen die beiden das Holz zurecht.

Nach drei Stunden ist der Sarg fertig. Torben ist ganz schön aus der Puste von der anstrengenden Arbeit. Aber etwas fehlt noch. Aus seinem Zimmer holt Torben einen Malkasten. Dann pinselt er den Sarg bunt an. Vorne auf den Deckel malt Torben einen Wellensittich.

Am Abend gehen Papa und Torben in den Garten. Papa hat schon ein kleines Loch gegraben.

Torben legt Herrn Heidenreich behutsam in den Sarg, schließt den Deckel und legt den Sarg in das Loch. Dann schaufelt er etwas Erde darüber. Es ist ganz still.

Mach’s gut, mein Freund, sagt Torben. Mehr kann er nicht sagen.

*

In dieser Nacht wacht Torben von einem schlimmen Traum auf. Er hat von dem Sarg geträumt. Aber diesmal lag nicht Herr Heidenreich darin, sondern Papa.

Schniefend rennt Torben nach nebenan und kuschelt sich fest an Papa. Bist du auch irgendwann tot? fragt Torben.

Ja, sagt Papa. Irgendwann sind wir alle tot. Alles, was lebt, stirbt irgendwann. Wellensittiche, Bienen, Katzen, Gänseblümchen – und auch Papas.

Wann denn? fragt Torben. Das weiß ich nicht, sagt Papa. Niemand weiß das. Aber wenn ich nicht schlimm krank werde, lebe ich sicher noch ganz, ganz lange. Bis du selbst ein Papa bist.

Kommst du dann auch in einen Sarg? fragt Torben. Ja, sagt Papa. Es gibt aber auch Menschen, die lieber verbrannt werden. Ihre Asche kommt dann in eine Urne. Eine Urne sieht ein bisschen aus wie eine Blumenvase. Ich möchte aber lieber in einem Sarg begraben werden.

Papa, sagt Torben und klingt plötzlich ganz entschlossen. Ich möchte dir den allerschönsten Sarg auf der ganzen Welt bauen. Papa lächelt. Einen Sarg für Menschen können wir nicht in der Garage bauen, sagt er. Wir haben viel zu wenig Holz. Den müssen wir kaufen. Bei einem Bestatter. 

Dann kaufen wir morgen einen Sarg für dich, ruft Torben. Einen ganz tollen, bequemen. Ich will, dass du es kuschelig hast, wenn du tot bist! Eine ganze Weile lang sagt Papa nichts. Dann lächelt er und nickt Torben zu.

*

Am nächsten Tag gehen Torben und sein Vater zum Bestatter. Komisch, denkt Torben. Hier ist ja alles schwarz und weiß. Selbst der Mann, der Papa gerade die Hand schüttelt.

Der Bestatter führt Torben und Papa die Treppe runter in die Werkstatt. Dort stehen die Ausstellungsstücke. Torbens Nase kitzelt. Es riecht nach Holz und Farbe. Fast so wie in Papas Garage. 

Klavierlack, sagt der Bestatter stolz und zeigt auf einen schwarz glänzenden Sarg. Aber Torben ist ganz und gar nicht überzeugt. Diese schwarze Kiste ist doch kein schönes Bett! Und wenn man schon für immer schlafen muss, dann in einem schönen Bett!

Auch Papa sieht nicht gerade zufrieden aus. Nachdenklich geht er die lange Reihe von Särgen ab, bleibt mal hier stehen, mal da. Aber kein Sarg scheint ihm richtig zu gefallen. Komm, Torben, sagt er schließlich. Lass uns wieder hoch gehen.

Ich komme gleich nach, ruft Torben. Ganz hinten, in einer dunklen Ecke des Raumes, hat er nämlich etwas entdeckt. Das muss er sich genauer ansehen. 

Nach zehn Minuten ist Torben noch immer nicht zurück. Wo er nur bleibt? Gemeinsam mit dem Bestatter geht Papa zurück in die Werkstatt – und lacht laut los.

Der teure Klavierlack-Sarg ist nicht mehr schwarz, sondern kunterbunt. Feuchte Farbe tropft überall an ihm herunter. Und obendrauf sitzt Torben, genauso bunt vollgeschmiert, einen

Farbeimer auf dem Schoß, einen Pinsel in der Hand, und malt konzentriert ein paar Buchstaben auf den Deckel.

Der Bestatter lacht nicht. Sein Gesicht ist noch weißer als vorher. Der gute Klavierlack, ruft er entsetzt. Aber Papa lacht nur weiter.

Genau den will ich, ruft Papa und zückt seine Geldbörse. Jetzt lächelt auch der Bestatter. Dann hebt Papa Torben vom Sarg herunter, umarmt ihn fest und liest, was sein Sohn auf den Deckel geschrieben hat.

Schlaf gut, Papa.


Text: Jens Wiesner
Illu-Skizzen: Dorothee Kersting
Lektorat: Renata Britvec/Lektoratur

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