Transgender-Mode: Das rockt!

Frauenkleider für alle! Die Modedesignerin Jennifer Hartmann, 28, entwirft Kleider und Röcke, die speziell auf den männlichen Körper zugeschnitten sind – und war damit schon auf der Berliner Fashion Week.

Manchmal träumt Jennifer Hartmann von C&A. In ihrer Fantasie rennt sie dann vorbei an den Kleiderständern mit Herren- und Damenmode und steht plötzlich in ihrer eigenen Abteilung. Männer probieren dort Röcke und Blusen an, und niemand findet das seltsam. „Ist doch eine schöne Vorstellung, oder?“ fragt die gebürtige Freisingerin, das kurze, blondgefärbte Haar zurückgekämmt, die linke Augenbraue abrasiert. Für ihre Bachelorarbeit an der privaten Mediadesign Hochschule Berlin hat die 28-Jährige ein Konfektionsgrößen-System für Transgender-Mode entwickelt und zwei Kollektionen mit ihrem eigenen Label „Baal“ herausgebracht. Nach einigen Jahren in Berlin zieht es sie jetzt nach London.

„Das ‚klassisch-weibliche‘ war noch nie so ganz mein Ding.“

Wie ist die Idee zu dieser Kollektion entstanden?

Ausschlaggebend war eine Begegnung auf dem CSD vor einigen Jahren. Ich bin auf dem Wagen mit einem Typen ins Gespräch gekommen, der weiblich gekleidet war. Der fand es schade, dass es keine Frauensachen gibt, die auch bei Männern vernünftig sitzen. Die Idee fand ich spannend und habe sie für meine Bachelorarbeit wieder aufgegriffen.

Worum ging es dabei?

Ich habe mich mit der Frage „Was ist Weiblichkeit?“ beschäftigt. Das ‚klassisch-weibliche‘ war noch nie so ganz mein Ding. Ich fühle mich in meinem Geburtsgeschlecht zwar richtig, habe meine eigene sozialgeschlechtliche Einordnung aber über Jahre in Frage gestellt. Als Ausgangspunkt für meine erste Kollektion habe ich Interviews mit Transgender-Mädels geführt und sie danach befragt, wie sich Weiblichkeit für sie anfühlt.

Und – wie fühlt sich Weiblichkeit an?

Farbenfroh, fließend… Viele meiner Interviewpartnerinnen meinten, dass sie dunkle Farben meiden, wenn sie sich als Frau kleiden. Schließlich haben sie als Männer immer schon schwarz und dunkelbraun getragen. Das konnte ich natürlich direkt textil übersetzen.

Welche Herausforderungen bietet der männliche Körperbau?

Männer im klassischen Sinne haben oft breitere Schultern, längere Arme – und außerdem im Hosenbereich etwas, das Frauen im biologischen Sinne nicht haben. Meine Idee war es, den männlichen Körper an diesen Stellen so hübsch und weiblich wie möglich aussehen zu lassen, ohne dass sie Bodyformer darunter tragen oder sich etwas einquetschen müssen.

Wie bist du diesen „Problemzonen“ begegnet?

Bei der ersten Kollektion habe ich mich vor allem auf die Oberfläche konzentriert, Wasserfallausschnitte benutzt, um den Brustbereich voller wirken zu lassen. Bei der zweiten ging es mehr um den Schnitt und seine optische Wirkung. Außerdem habe ich ein Prinzip entwickelt, das ich ‚subtile Asymmetrie‘ getauft habe. Ich baue ganz bewusst Elemente in meine Entwürfe ein, die die Symmetrie der Kleidung stören. Die Leute schauen dann zweimal hin – genauso wie in mein Gesicht, wenn ich mir eine Augenbraue abnehme. Schließlich geht es bei Transgender ja auch darum, aus der klassisch-normativen Geschlechterbalance geraten zu sein. Die Asymmetrie in meinen Designs soll dieses Gefühl modisch umsetzen.

Spezialshops für Transgender-Mode finden sich im Netz einige. Im Unterschied zur Baal-Kollektion wird dort jedoch mit allerlei Hilfsmitteln gearbeitet. Es gibt: in die Kleidung eingenähte Silikonbrüste, Brustprothesen-BHs, Perücken, Push-Up-Hosen, „Vagina“-Höschen und – natürlich – das unvermeidbare Korsett für die Taille. Eine weitere Möglichkeit bietet der Einkauf in Shops für Damenübergrößen. Dann zwickt es zwar nicht mehr an den kritischen Stellen, die Kleidung wirkt aber schnell sackig. Wer ordentlich Geld in die Hand nimmt, kann sich seine Kleider freilich auch maßanfertigen lassen. Oder man(n) bucht das volle Programm und lässt sich von professionellen Stylisten bei Samanta oder Change Magic in eine Frau verwandeln.

Warum überhaupt männlich oder weiblich? Ist geschlechterspezifische Mode nicht eine Sache der Vergangenheit?

An sich stimmt das, aber anders, als es gerade modisch ist, verfolge ich mit meinen Kollektionen nicht das Ziel, die Geschlechter aufzulösen. Das entspricht auch nicht dem Wunsch der Frauen und Männer, für die ich Mode mache. Die wollen ja gerade femininer wirken durch entsprechende Kleidung. 

Man könnte sich Kleider ja auch speziell schneidern lassen…

Ja, die Miedermanufaktur macht das zum Beispiel. Aber meine Idealvorstellung ist, dass man Transklamotten irgendwann normal shoppen kann. Weil es dann eben nichts Anrüchiges mehr ist – und günstiger dazu.

„Wow, so stylish ist Transgender-Mode!“ titelte MTV im August 2015 als Reaktion auf eine spezielle Transgender-Kollektion, die der H&M-Ableger & Other Stories auf den Markt gebracht hatte. Das Besondere: Die Stücke wurden von Trans-Menschen für Trans-Menschen entworfen. Im Gegensatz zu Jennifer Hartmanns Kollektion bevorzugten die Designer allerdings einen dezenteren Unisex-Look.

Deine Bachelor-Kollektion wurde 2014 im Rahmen der Berliner Fashion Week gezeigt? Wie bist du dazu gekommen?

Ich hatte Glück. Auf der Suche nach Interviewpartnern für meine Bachelorarbeit habe ich Dagmar Harmsen kennengelernt. Die hat viele Kontakte in die Community und fand mein Projekt großartig. Über drei Ecken hat dann die Veranstalterin der „Style! It! Takes!“-Party auf der Fashion Week davon erfahren. Die hat sich meine Sachen angeschaut und meinte nur: ‚Geil, machen wir!‘ Und ich hatte meinen ersten eigenen Catwalk!

Wie ist es dann weitergegangen?

Nach meinem Studium habe ich angefangen, an meiner zweiten Kollektion zu arbeiten und bin zu mehreren Transgender-Events eingeladen worden, um meine Sachen zu präsentieren. Mitte Juli 2014 kam dann eine Einladung von den „Sparkle in the Park“-Organisatoren aus Manchester. Das ist das größte Transgender-Festival Europas! Es war der Wahnsinn! Hotelsuite mit Modelcasting, Catwalk, Jubiläumsparty. Ich habe mir vorher extra noch meine Haare grün gefärbt…

Wie wurden deine Kollektionen in der Branche aufgenommen?

Auf meine zweite Kollektion habe ich positiveres Feedback bekommen. Meine erste Kollektion war noch etwas unbeholfen. Ich war sehr stark auf Stoffspenden angewiesen und musste sehen, was ich damit machen kann. Die zweite ist strukturierter, man erkennt besser, dass alles zusammen gehört. Beim zweiten Mal habe ich auch mehr darauf geachtet, dass meine Entwürfe im Alltag tragbar sind, dass man sie im Büro tragen kann oder als Abendkleid.

Gab es auch Kritik?

Ja, gab es, manche lauter, manche leiser. Zum Beispiel hat meine Uni, die MD.H, auf ihrer Seite einen Film vom Abschluss-Catwalk veröffentlicht, aber still und heimlich entschieden, meine Kollektion raus zu schneiden. Daneben gab es eine unschöne Szene, als wir für die zweite Kollektion einen Modefilm am Kotti gedreht haben. Zwei Jungs haben uns angepöbelt und Plastikflaschen hinterhergeworfen.

Nach der Fashion-Week-Veranstaltung kamen auch ein paar kritische Stimmen aus der Szene selbst. Das Thema war ja „Rethinking Punk“, das musste ich irgendwie mit meinen gar nicht punkigen Entwürfen zusammenbringen. Also habe ich den Mädels neonfarbene Perücken aufgesetzt und Punkerschuhe angezogen. Ich fand diesen androgynen Style supergeil, wäre sofort selbst so rumgerannt. Aber: Die Mädels wollten ja gerade weiblich und nicht androgyn aussehen. Da habe ich gemerkt, dass ich ihnen meine eigene Sache aufgedrängt habe. Bei meiner zweiten Kollektion bin ich dann mehr auf ihre spezifischen Wünsche eingegangen.

Transgender auf dem Laufsteg sind nichts Neues in der Geschichte der Modewelt – das offene Bekenntnis dazu schon. Bis in die 1980er hinein mussten Starmodels wie April Ashely, Caroline ‚Tula‘ Cossey und Lauren Foster am eigenen Leib erfahren, wie schädigend sich ein Outing auswirkte. Nachdem Skandalmagazine über ihr Geburtsgeschlecht berichtet hatten, verloren sie ihre Aufträge. Erst Mitte der 1980er änderte sich die Einstellung der Branche: Zu verdanken ist dies vor allem Teri Toye, die unter anderem für Sprouse, Lagerfeld, Gaultier und Chanel arbeitete, und sich – wohl als erstes Model ihrer Zeit – offen als Transgender bekannte.

Kannst du von deinem Label leben?

Nein, bis jetzt leider noch nicht. Ich werde mich in Zukunft wieder breiter aufstellen und mein Prinzip auch auf nicht-transgender-Kleidung übertragen. Auf emotionaler Ebene hat mir das Projekt aber großen Reichtum beschert. Die Mädels haben durch ihren großartigen Zugang und ihre liebevolle Definition von Weiblichkeit viele meiner eigenen, zuvor negativ assoziierten oder kritischen Eigenschaften relativiert. Ich bin heute mit meiner eigenen Weiblichkeit mehr im Reinen als vor dem Projekt – und die Mädels auch.

Wie stehst du grundsätzlich zur Modebranche?

Es liegt ja in der Natur der Sache, dass es eine unheimlich oberflächliche Welt ist. Kleidung liegt nun mal an der Oberfläche der Haut. Aber so richtig konnte ich mich damit erst anfreunden, als ich mein Bachelorthema gefunden hatte. Transgender-Mode zu entwerfen hat ja viel mit Akzeptanz und Respekt zu tun. Ich habe das Gefühl, das verpufft nicht gleich, da kann man etwas bewirken. Vor allem bei meinen Models habe ich das gemerkt. Die waren ja keine Profis, die hatten so etwas noch nie vorher gemacht. Das ist schon großartig zu sehen, was das Projekt mit ihnen gemacht hat und wie es ihnen geholfen hat. 

2015 war das Thema Transgender in aller Munde. Glaubst du, wir stehen vor einem echten Wandel in Sachen Toleranz, oder war es nur ein kurzer Hype?

Ich habe schon den Eindruck, dass die Gesellschaft insgesamt immer offener mit dem Thema umgeht, siehe Conchita Wurst beim ESC oder die Berichterstattung über Caitlyn Jenner. Im persönlichen Umgang ist es natürlich noch etwas ganz anderes. Es ist für jemandem, der okay ist mit seinem biologischen Geschlecht, einfach unglaublich schwer vorstellbar, wie man sich ‚im falschen Körper‘ fühlen kann. Ich könnte jetzt auch nicht sagen, was sich an mir besonders ‚weiblich“ anfühlt, wo die Biologie aufhört und die soziale Prägung beginnt.

Ausgerechnet einer US-Reality-Show ist es zu verdanken, dass das Thema Transgender seinen Weg in den Mainstream und hin zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz gefunden hat: Jahrelang war Bruce Jenner in „Keeping up with the Kardashians“ zu sehen. Als sich der ehemaliger Olympiagoldgewinner im Zehnkampf 2015 zu einer Geschlechtsangleichung entschloss und seinen Vornamen offiziell zu Caitlin änderte, hievte ihn die Vanity Fair auf die Titelseite. Selbst das Weiße Haus gratulierte damals. In Europa war es vor allem der Sieg von Conchita Wurst beim European Song Contest 2014, der für das Thema sensibilisierte – obwohl der homosexuelle Travestiekünstler Tom Neuwirth keine Transfrau im engeren Sinne ist.

Wie geht es jetzt für dich weiter?

Mein Label und ich werden nach London umziehen. Die Community ist ziemlich groß und offen da. Außerdem steht die „Transpride Brighton“ an und außerdem eine neue Kollektion: Im letzten Jahr habe ich viel recherchiert und gezeichnet, das möchte ich jetzt endlich umsetzen.


Dieser Artikel ist am 16. Mai 2016 auf bento erschienen.

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