Mehr Kind als mich brauch‘ ich nicht

Wenn mit dem Braten in der Röhre nicht mehr die Weihnachtsgans gemeint ist: Unser Autor lebt mit Ü30 kinderlos und fragt sich: Wozu ein Kind, wenn es schon im Manne steckt?

Neulich bin ich wieder in meinem kleinen Heimatdorf gewesen. Ich fahre nur noch selten hin, ich mag mitleidige Blicke nicht. Man würde es mir nie ins Gesicht sagen, aber: Ich gelte dort längst als verbrannt. Wie eine überreife Avocado, von außen noch ganz lecker anzusehen, aber von innen vergammelt. Warum? Ich bin 32 – und kinderlos. Seit Jahren habe ich meiner Family keine Frau mehr auf den Gabentisch gelegt – was auch daran liegt, dass ich niemandem diese elterlichen, musternden Blicke zumuten möchte. Diesen ganz besonderen Moment, wenn unterschwellig nur noch eine Frage im Raum steht: „Wirst DU unsere Enkel auf die Welt bringen?“ Denn mit 32 jemanden nach Hause zu bringen, heißt, es ernst meinen. Kindsernst.

Ja, auch bei uns Männern tickt eine unsichtbare Uhr, wenn auch eher gesellschaftlich, denn biologisch. Spätestens, sobald die große Drei erreicht ist, setzen sich ihre Zeiger in Bewegung. In den Zwanzigern darf man gerne noch ein bisschen Kind spielen, sich ab 30 aber bitte schön an die Produktion des eigenen machen. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Weder gehöre ich zur Spezies Mensch, die Kinder für kleine sabbernde Gremlins hält, noch prozessiere ich wegen Kinderlärms gegen die Kita von nebenan. Ich mag Kinder. Kinder sind etwas Feines. Irgendwann hätte ich vielleicht selbst gern welche. Aber. Nicht. Jetzt.

Wenn der familiäre Druck wächst

Vielleicht ist meine Einstellung Resultat einer kindlichen Trotzhandlung. Auf Druck und Zwang reagiere ich schließlich nicht erst seit der Pubertät allergisch. Und der Druck nimmt täglich zu: Spätestens, seitdem mir mein jüngster Cousin per Whatsapp seine Heiratspläne mitteilte. Damit wäre ich nun offiziell das letzte Familienmitglied ohne Topfdeckel. Doch auch der Freundeskreis legt langsam nach: „Willst du denn, dass deine Kinder mit einem tattrigen Opa als Vater aufwachsen?“, fragte mich erst kürzlich ein offenbar ernsthaft besorgter Bekannter.

Jens mit Seifenblasen

Ja, warum eigentlich nicht? Opas sind cool. Mein eigener war ein lässiger Zeitgenosse, den Zwängen der Arbeitswelt längst entglitten, ein Mann mit Zeit und Zen. Gut, wie weiland der Theodor im Fußballtor zu stehen, werde ich mit 60+ wohl nicht mehr. Wäre aber auch jetzt schon vergebliche Lebensmüh: Meine sportlichen Leistungen lassen sich an der Hand eines Amputierten abzählen. Ich gehöre zur lesenden, nerdigen Sorte. Und Gute-Nacht-Geschichten klingen mit sonorer Seniorenstimme vorgetragen sowieso besser.

Das Kind im Manne

Unter uns: Mein Kind lebt momentan ganz zufrieden in mir selbst. Metaphorisch gesprochen natürlich, nicht auf diese verstörende Arnold-Schwarzenegger-Art. Neulich erst bin ich mit einer Freundin an einem Spielplatz vorbeigeschlendert, als es uns beide wieder packte: Sie wollte unbedingt schaukeln, ich die Rutsche von unten heraufklettern. Die anwesenden Eltern quittierten unser Treiben mit unverhohlen missbilligenden Blicken. Sich wie ein Kind zu benehmen geht als Erwachsener erst wieder, wenn man selbst welche hat.

Aber nur Vater werden, um mit der Modelleisenbahn spielen zu dürfen? Das wäre wirklich kindisch.


Erschienen am 10. April 2014 auf stern.de.

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