Der Autor wird zur Hochzeit in seine alte Heimat geladen. Und muss erkennen, dass man es dort als Single mit 29 nicht leicht hat.
Das Schöne am Leben in der Stadt ist das verschobene Hochzeitseintrittsalter. Besser gesagt, wer in Hamburg oder Berlin oder Köln zusammenlebt, kann es auch ganz ohne Trauschein tun. Männer und Frauen! Frauen und Frauen! Männer und Männer! Männer und ihre rechte Hand! Scheißegal. Auf dem Land dagegen muss sich schon sorgen, wer mit 25 noch keine Herz-Dame vorzuweisen hat.
Mit 29 Lenzen gelte ich in meinem Dorf also längst als unvermittelbar. Mir macht das wenig aus, ist die Auswahl dort doch recht begrenzt und für die Idee zu nehmen, was übrigbleibt, konnte ich mich noch nie so recht erwärmen. Neulich war es wieder einmal soweit: Die vierte Vermählungsaktion im laufenden Jahr. Schmiss ich mich also in meinem einzigen, zum Abiball erworbenen Anzug, versuchte erfolglos, die nicht erwünschten Falten meiner Stoffhose glattzubügeln und peitschte den kleinen Fiesta gen Altheimat.
In der Kirche kotzte erstmal ein Kind. Der feuchte Platscher sollte die romantische Stimmung aber nur für einen kurzen Augenblick schmälern. Als sich das Pärchen das obligatorische ‚Ja‘ zuhauchte, war für den Rest schon wieder Taschentuchzeit. Ich hingegen kicherte innerlich noch immer über das kleine Malheur. Slapstick geht halt immer.
Ohne Sitzkärtchen geht es nicht
Zum anschließenden Hochzeitsessen ging es klassisch in eine Gaststätte mit gemietetem Saal. In der Ecke wurschtelte ein Alleinunterhalter mit weißem Hemd und streng zurück gekämmter Gelfrisur an seinem Equipment. Mir schwante Böses. Die Tischplätze waren nach Herkunft und Bekanntschaftsgrad geordnet: Verwandte der Braut. Verwandte des Bräutigams. Freunde der Braut. Freunde des Bräutigams. Arbeitskollegen der Braut, Arbeitskollegen des Bräutigams.
Etwas verzweifelt hatte man meine Wenigkeit am Reste-Tisch platziert. Beim Durchzählen der Stühle bemerkte ich eine ungerade Anzahl. Die Hoffnung auf einen Singletisch mit einer heißen, einsam-gelangweilten Freundin aus Studienzeiten schwand. Tatsächlich sollte ich der einzige Tischbewohner, ja offenbar die einzige Person der ganzen Hochzeitsgesellschaft sein, die ohne Partner erschienen war. Ein wenig enttäuscht stürzte ich mich in die platonische Kontaktaufnahme: „Was machen Sie denn so beruflich? Versicherungskaufmann? Interessant… Da lernt man sicher viele Menschen kennen.“ Kurze Zeit später wurde unser Gespräch rüde unterbrochen. Der Alleinunterhalter spielte den Suppenmarsch, gangweise wurde das Essen aufgetragen. Mein Fast-Food-gescholtener Magen hüpfte freudig im Takt. Derartige lukullische Genüsse waren ihm fremd. Zugegeben – kochen können sie hier. Deftig sicher, aber lecker!
Tanzfläche Tabu
Kritisch wurde es erst, als die Tanzfläche eröffnet wurde. Paartanz, Walzer. Mein Tisch erhob sich synchron, ich blieb zurück. Mehr Wein für mich. Auch nicht schlecht. Nach einer Dreiviertelstunde gesellte sich ein besorgt dreinblickender Bräutigam hinzu. Ob denn auch alles gut wäre? Ich beschloss, meinen Standort zu wechseln. Am Rande der Tanzfläche hatte ich eine einsam dastehende Dame erblickt. Nach zehn Minuten des Gesprächs keimte neue Hoffnung in mir auf. Just in diesem Moment ließ sich die Frau entschuldigen. Sie müsse kurz nach oben, ihr Mann habe sich hingelegt, ihm war übel geworden.
An der Theke bestellte ich erstmal einen Gin Tonic. Als mich die Kellnerin fragend anschaute, korrigierte ich seufzend auf Cola-Korn. Und blieb dabei, bis mich der 18-jährige Kumpel des Bruders des Bräutigams nach Hause brachte. Volltrunken lallte ich ihm etwas von den Freuden des Singlelebens ins Ohr. Er blickte mich nur mitleidig an.
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