Vom unschuldigen, unbeachteten Satzbeender zum unterschwelligen Ausdruck von Missfallen und Angepisstheit. Eine pseudogrammatikalische Betrachtung.
Der Punkt war wohl das unscheinbarste unter den Satzzeichen. Ein Allrounder, so inflationär eingesetzt, das man sich keine weiteren Gedanken um ihn machen musste. Er war eben kein Fragezeichen, für das strenge Restriktionen galten, das sich im Grammatikdschungel eine ganz eigene, enge ökologische Nische geschaffen hatte. Und erst recht war er kein Ausrufezeichen, das es bedacht und sparsam zu nutzen galt, um den höchstmöglichen impact zu generieren, um seine ganze vertikalstrichige Wucht hinter ein wichtiges Statement zu werfen. Wer hingegen im Übermaß mit Ausrufezeichen um sich warf, der machte sich schnell als hysterischer Herumkrakeler lächerlich und zog den Spott der Nase rümpfenden Leserschaft auf sich.
Diese Zeiten sind vorbei.
Der Punkt, einst nicht mehr als simpler grammatikalischer Satzprellbock, hat sich mit einer Bedeutung aufgeladen, die dem nun doch nicht mehr ganz jugendlichen Schreiber dieser Zeilen erst vor kurzem gewahr wurde – und die Gefahr einiger unangenehmer Missverständnissen in sich birgt.
Bewegen wir uns textlich heute in digitalen Wassern, heißt wir kommunizieren über Chats, soziale Medien und Messanger wie Whatsapp oder Telegram, hat der Punkt seine Rolle als schlichter Satzbeender längst an die Enter/Returntaste abgegeben. Mehr als einen Satz hintereinander in eine enge Messenger-Sprechblase zu quetschen, da rümpft sich die junge Zwiebelfischgeneration die Nase. Jeder Satz oder jede satzähnliche Aneinanderreihung von Worten, Buchstaben und Akronymen gehören fein säuberlich in die nächste Zeile, die sich oft in Form dieser bereits erwähnten spielerisch-stylish formatieren Sprechblase manifestiert.
Der Punkt hingegen, vom der alten Schule oft noch ohne Bedacht und aus reiner Gewohnheit hinterhergeschickt, hat eine radikale Bedeutungswandlung erfahren. Wie das Fragezeichen und das Ausrufezeichen vor ihm, wird er nun nur noch in einem konkreten, durchaus negativem Kontext gesetzt. Das pedantische Beharren auf dieses nun eigentlich unnötige Satzzeichen wird mittlerweile nämlich als Ausdruck der Genervtheit und Angepisstheit des Schreibenden verstanden. Ein Beispiel: Als der Rechtschreibung innig verbundener Korrespondierender setzen Sie freilich als Antwort selbst auf eine kurze Entscheidungsfrage einen Punkt.
Ja.
Nein.
Dieses sollten Sie in digitalen Gesprächsformen tunlichst unterlassen, transportiert dieser Punkt doch eine unterschwellige Aggression mit, eine brodelnde Genervtheit über Frage und Verhalten Ihres Korrespondenzpartners. Dieses Mitschwingen eines von Ihnen wahrscheinlich gar nicht intendierten negativen Gefühls macht indes vor Ein-Wort-Antworten nicht halt. Auch hier ein Beispiel:
Ich komme gleich.
Ankommen wird diese Botschaft bei Ihrem digitalen Gegenüber in etwa so: JA, VERDAMMT NOCH MAL, FRAG NICHT MEHR SO BLÖDE NACH, ICH BIN JA SCHON AUF DEM WEG, NERV NICHT MEHR!!!11!! PUNKT!!!11!!
Lassen Sie den Punkt hingegen weg (und schreiben das I klein oder lassen das Personalpronomem am besten ganz weg), schon kommt Ihre Botschaft wieder an wie sie gemeint war: Nett und mostly harmless.
Da es auch in der Grammatik nicht einfach ist, sich lieb gewordene Gewohnheiten abzutrainieren, sei Ihnen abschließend folgendes Bild mit auf den Weg gegeben. Stellen Sie sich einfach vor, jeder digital geschriebene Satz, den Sie mit einem Punkt beenden, wird von einem sehr genervten Alan Rickman vorgelesen. Siehe „Dogma“. Siehe „Galaxy Quest“.
Sie werden sehen, mit diesem Bild im Kopf ist Ihnen der Griff zur Enter-/Returntaste bald schon in Fleisch und Blut übergegangen. Bei Grabthars Hammer!
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