Sechs Geschichten: Wie lebt es sich als Patchwork-Familie?

Stress oder Segen? Ich habe mich umgehört, mit welchen Herausforderungen Patchwork-Familien zu kämpfen haben – und wie sie sie meistern.

Dirk, 35, Maler und Lackerier: Wenn der Ex mit im Haus wohnt

Für mich bedeutet Patchwork nur Stress und Ärger: Die Kinder meiner Freundin bestimmen ihr Leben – und meins! Das sieht so aus: Ich lebe mit meinem siebenjährigen Sohn bei meiner Freundin und ihren zwei elf- und siebenjährigen Kindern. Allerdings wohnt der Vater der Kinder im Erdgeschoss – und marschiert bei uns ein und aus wie er möchte. Die Tochter meiner Freundin sieht meinen Sohn, der ADHS hat, und mich als äußerst störend an und lässt das auch jeden spüren. Vor ihrem letzten Geburtstag, der im Erdgeschoss beim Vater gefeiert wurde, gab’s eine riesen Diskussion: Von mir wurde erwartet, dass ich mich mit dem Ex meiner Freundin und seinen Eltern an einem Tisch setze! Wollte ich natürlich nicht und bin mit meinem Sohn allein ins Kino. Später haben wir uns dann aber doch noch dazugesetzt. Die Stimmung am Tisch war aber schon sehr angespannt. Die Mutter meiner Freundin ist in der Frage übrigens auf meiner Seite: Sie meinte, sie hätte an meiner Stelle auch keine Lust darauf gehabt. Aber die Hauptsache ist, dass mein Sohn Spaß im Kino hatte!


Andreas, 32, Texter: Mit vier Familien bei der Einschulung

Bei der Trennung von meiner Freundin war mein Sohn 1 ½ Jahre alt, jetzt ist er sieben. Mittlerweile leben wir beide in neuen festen Beziehungen, sie in Berlin, ich in Hamburg. Bei seiner Einschulung sind zum ersten Mal alle vier Familien aufeinandergetroffen. Natürlich habe ich mich gefragt: ‚Wird das gutgehen? Verstehen sich alle?‘ Das war schon witzig, wie alle gemeinsam am Kaffeetisch saßen, und sich erstmal gegenseitig vorstellen mussten: Die kannten sich ja gar nicht. Aber es ist sehr gut verlaufen, weil alle wussten, dass es ein besonderer Tag für meinen Sohn ist, und daher sehr bemüht waren miteinander klarzukommen. Mein Sohn fand auch cool, eine so große Gruppe dabeigehabt zu haben, während bei den anderen ‚nur‘ Mama und Papa dabei waren. Weihnachten und Ostern feiern wir aber weiterhin doppelt und getrennt: An den offiziellen Feiertagsterminen ist mein Sohn bei seiner Mutter und deren Familie, danach feiert er mit mir und meiner Familie. Ganz wichtig: Wenn seine Mutter und ich uns doch einmal uneins sind, diskutieren wir das nie in Anwesenheit unseres Sohnes aus. Nichts ist schlimmer für ein Kind, als wenn sich die Eltern auf dem eigenen Geburtstag streiten – und man möglicherweise das Gefühl bekommt, man selbst sei schuld daran.


Mareike*, 31, Journalistin: Mit der Exfrau am Krankenbett

Mein Freund hat einen siebenjährigen Sohn und war bereits verheiratet, dadurch habe ich jetzt ein ‚Patchwork-Kind‘. Er lebt bei seiner Mutter, ist aber alle zwei Wochen bei uns. An den Feiertagen wechseln wir uns ab, und wären dieses Weihnachten eigentlich in Hamburg geblieben. Aber ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, ausgerechnet an Weihnachten nicht bei meiner Familie zu sein, und wollte am 25. alleine nach Hause fahren. Aber der Sohn meines Freundes wollte so gerne mit, da sind wir dann doch gemeinsam gefahren. Mein Freund hatte zuerst Sorge sich in die Familie zu drängen. Ich habe dann mit meiner Mama geredet, und die meinte nur: „Die beiden gehören jetzt zur Familie und sind immer willkommen.“ Mit seiner Exfrau, die auch einen neuen Partner hat, verstehe ich mich gut. Als mein Freund krank war, saßen wir sogar zusammen am Krankenhausbett. Komischer, aber damit hatte ich wirklich kein Problem. Vielleicht, weil ihre Beziehung schon länger her ist, und sie meinem Freund von Anfang an gesagt hat, dass sie mich mochte. Ich mische mich in die Erziehung auch nicht ein – vielleicht funktioniert das auch deshalb ganz gut.


Jens, 34, Journalist: Plötzlich Patchwork!

„Bei uns hat jemand angerufen, der behauptet, Ihr Vater zu sein.“ Der Anruf vom Jugendamt kam plötzlich – und ebenso plötzlich hatte ich eine neue Familie. Dass ich als Baby adoptiert worden war, wusste ich ja. Aber meine Kindheit war super verlaufen. Kleines Dorf, liebevolle Familie – was wollte ich mehr? Nun hatte ich also einen Vater doppelt – mit Mitte 20! Und eine neue lesbische Mama. Und einen neunjährigen Halbbruder von Papas Seite, der ein paar Jahre später noch eine kleine Schwester nachlegen sollte. Von jeweils unterschiedlichen Frauen. Zusammengetroffen sind meine leiblichen und meine Adoptiveltern nie. Als einmal eine große Filmpremiere anstand, und beide Familien kommen wollten, war ich eigentlich ganz froh, dass Bio-Dad kurzfristig absagen musste. Denn ich spürte, dass ich beide Welten besser getrennt halte. Nicht nur vom Alter, auch von den Lebenseinstellungen könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Als ich meinem (Adoptiv-)Papa einmal gegenüber erwähnte, dass ich meinen leiblichen Vater treffe, meinte der auch nur: „Wenn du meinst…“ Seitdem erzähle ich nichts mehr. Und genieße jede Begegnung einzeln für sich.


Fiona-Luzia, 27, Make-up-Artist: Full House!

Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich drei war. Es gab aber nie Streitigkeiten, oder ein festgelegtes Besuchsrecht. Wenn es passte, bin ich am WE bei meinem Vater oder meiner Mutter gewesen. Mittlerweile hat mein Vater mit seiner neuen Frau zwei Kinder, meine Mutter mit dem neuen Mann (der noch dazu jünger ist als sie – was für ein Skandal in einer Kleinstadt!) zwölf Jahre nach mir eine kleine Nachzüglerin bekommen. Bei Geburtstagen sind wir immer alle zusammen: Halbgeschwister, Ex-Partner, neue Partner, Großeltern, Eltern. Meine Stiefmutter stammte selbst aus einer Scheidungsfamilie und hat sich sehr darum gekümmert, dass ich meinen Papa nach der Trennung meiner Eltern weiter sehe. Vor 13 Jahren sind sie dann in denselben Ort gezogen, in dem meine Familie wohnt. Als wir alle noch kleiner waren, haben meine Mutter und meine Stiefmutter auch gegenseitig auf die Kinder des jeweils anderen aufgepasst. Seitdem hat sich eine echte Freundschaft zwischen den beiden entwickelt (Das war fast noch unerhörter als die Sache mit dem jüngeren Mann!). Sie fahren gemeinsam in den Urlaub – und witzeln auch mal gern über ihre gemeinsamen Erfahrungen mit meinem Vater.


Rosa, 33, und Arndt, 39: Patchwork auf dem Land*

Mein Freund Arndt hat eine achtjährige Tochter aus einer früheren Beziehung mitgebracht, seit vier Monaten haben wir jetzt auch einen gemeinsamen Sohn. Mit der Kleinen verstehe ich mich gut, mit ihrer Mutter war es nicht ganz so leicht: Am Anfang haben wir gar nicht miteinander gesprochen, ich habe sehr deutlich die Ablehnung von ihrer Seite gespürt. Bei mir war es ähnlich: Ich wollte alles richtig machen, habe aber automatisch eine Abwehrhaltung eingenommen. Aber seitdem ihr klar ist, dass Arndt und ich zusammenbleiben werden, ist es viel besser geworden. Familienfeste und Feiertage verbringen wir aber nicht alle gemeinsam, der Wunsch besteht auch gar nicht. Stattdessen versuchen wir, uns abzuwechseln. Auf dem Land ist es als Patchworkfamilie aber nicht immer leicht. In den Köpfen der Menschen spuken noch diese Idealvorstellungen, wie eine perfekte Familie zu sein habe. Als ich mit meinem Freund bei einer örtlichen Tanzveranstaltung war, habe ich die Blicke genau gespürt. Mir war das richtig unangenehm, aber ich habe es weggelächelt. Ich denke, jetzt, wo wir ein gemeinsames Kind haben, wird sich das verbessern. Aber auf Dauer möchte ich in die Großstadt zurück, da sind die Leute toleranter.

*anonymisiert


Ursprünglich aufgeschrieben wurden diese Protokolle für das JS-Magazin, Ausgabe Mai 2016, erschienen sind dann allerdings nur die von Dirk und Andreas. Hier könnt ihr nun alle komplett nachlesen.

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