Feedback-Kultur: Warum ich Dienstleistungen von anderen nicht mehr bewerten will

An jeder Ecke werden wir mittlerweile dazu aufgefordert, Menschen und ihre Dienstleistungen zu bewerten. Das ist würdelos!

Drei fette Smileys blicken mich an, als ich den Baumarkt gerade wieder verlassen will und fordern mich höflich auf, mein ‚Einkaufserlebnis‘ zu bewerten. Der grüne Smiley lacht, der gelbe schaut so lala und der rote zieht eine Schnute, wie man es von einem roten eben erwartet. Ich habe gerade eine Malerplane gekauft.

Mein ‚Einkaufserlebnis‘ bestand darin, in den Markt zu gehen, die Plane zu holen und die Plane zu bezahlen. Der Weg zum Regal gestaltete sich standardmäßig zu Fuß, weder hat mich jemand per Offroad-Buggy vom Eingang abgeholt oder mir eine VR-Brille aufgesetzt, um meinen Einkauf immersiv in ein Escape-Room-Game zu verwandeln. Und das ist auch gut so.

Bitte bewerten Sie Ihr Kinoerlebnis! Bitte bewerten Sie Ihre heutige Fahrt! Bitte bewerten Sie den Service unseres Personals! Am Ende jeder Dienstleistungen, die von anderen für mich erledigt wird, steht mittlerweile ein Urteil, das ich freundlich, aber bestimmt gebeten werde, abzugeben. Vordergründig soll das dabei helfen, den allgemeinen Service zu verbessern. Und doch komme ich mir jedes Mal dabei vor wie eine Petze. Wie früher in der Schule, wenn man zum Lehrer gegangen ist, weil Rüdiger abgeguckt hat.

Damals hatten wir schon den richtigen Riecher: Petzen waren scheiße. Und äußerst unbeliebt. Übrigens auch bei den Lehrern, die sich ja eigentlich über die Aufdeckung der Regelverletzung hätten freuen müssen.

Aber zurück zu den Smileys. Welche Konsequenzen hat diese Datensammelei eigentlich für die Mitarbeiter? Welchen ständigen Druck baut so ein System auf? Und wer bekommt weniger Geld, nur weil ich in einem Anfall von schlechter Laune auf den roten Smiley gedrückt habe?

Ich stelle mir vor, wie der Filialleiter des Baumarkts wöchentlich vor sein Team tritt. „Marion, in deiner Schicht hat es letzte Woche sieben rote Smiles gegeben. Was war denn da los?“ Und dann stelle ich mir vor, wie er seine Mitarbeiterin jetzt mit diesem gespielt freundlichen Ernst anschaut: „Wenn das noch einmal vorkommt, müssen wir uns leider von dir trennen. Wir wollen ZUFRIEDENE Kunden, Marion, das hast du doch verstanden, oder Marion?“

Was für eine würdelose Show! Denn selbst wenn ich immer auf den grünen Knopf drücke, egal welche ‚Experience‘ ich gerade hinter mir habe, spiele ich dieses Spiel ja trotzdem mit. Die Daten, die bei solchen Evaluationen gesammelt werden, landen ja in der Hand der Arbeitgeber. Und ob die bereitwillig mehr Geld zahlen, wenn es grüne Smileys hagelt, das darf zumindest bezweifelt werden. Die roten und gelben allerdings werden zum Druckmittel. „Wir wollen ZUFRIEDENE Kunden, Marion!“

Was hindert mich eigentlich daran, der Person direktes Feedback zu geben? Ich meine, wenn mir nicht gefällt, wie mich die Kellnerin oder der Kassier behandelt, warum sage ich es ihnen nicht einfach selbst? Andersrum gilt das freilich genauso: Warum der netten Schaffnerin nicht Danke sagen oder ein freundliches Lächeln schenken oder Trinkgeld geben für Ihren Service? Wir müssen doch nicht gleich alles beim Vorgesetzten petzen!

An den Smileys bin ich dann übrigens vorbeigegangen, ohne auf irgendeinen zu drücken. Und wenn ich das nächste Mal im Baumarkt bin, kaufe ich mir einen Hammer. Und dann gibt’s mal ehrliches Feedback – für dieses Feedback-Petzen-System.

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